Mittwoch, 20. Dezember 2006

Früchte des Zorns und Yok 'n' Hell

Früchte des Zorns und Yok 'n' Hell 19.12.2006 im Clash

Meine knappe Stunde Fahrt aus dem tiefen Osten Berlins in den mittlerweile zentralen Süden endete direkt vor den Toren des "Clash", in der Gneisenaustraße. Kreuzberg 61. Drin war schon ein mächtiges Gewühl. Da das Ganze ein Soli-Konzert zugunsten der Obdachlosenzeitung "Querkopf" war, durfte zwischen 3 und 10 Euro Eintritt frei gewählt werden. 5 Euro als guten Kompromiss und das Clash als relativ angenehm empfunden. Die Hausmarke war leider gerade aus, deshalb ein Flensburger und nach kurzer Zeit wurde da die Bühne auch schon von den "Früchten des Zorns" geentert.

Nahezu 500 Leute waren jetzt anwesend. In Anbetracht dieser Zahl erschien mir das Vorhaben der Früchte mehr als waghalsig. Auch Sänger Mogli stand mit seiner Akustikgitarre noch etwas verunsichert herum (seine langen schwarzen Locken und der verträumte Blick passen genauso zur Musik wie Ankes letzte türkise Strähne auf der Glatze). Auch sie hatte bereits ihre Geige angesetzt und wie Drummerin Hannah ihre Position gefunden. Die Früchte bezeichnen sich selbst als "linksradikales Kollektiv", ihre Texte sind mit das Ehrlichste und Emotionalste was ich kenne. Irgendwo zwischen Angst, Verzweiflung, Liebe, der Sehnsucht nach Freiheit und dem Wissen, dass es auch anders sein kann, wenn wir nur fest genug glauben, lieben und kämpfen. Depressiv und hoffnungsvoll. Eine wahnsinnig intensive Mischung. Heute wollen sie unplugged spielen. Immer noch vor den 500 Leuten. Und das Verrückteste: Es funktioniert. Im Hintergrund stören zwar immer noch ein paar Unbelehrbare, aber die intensive Atmosphäre des Lauschens kann dies nicht zerstören. Gleich zu Beginn ein paar ihrer schönsten Lieder. Ankes Geige sorgt für Gänsehaut. Live noch ungleich mehr. Besonders bei "Dicke, unbeseelte Vögel". Daneben noch die Lieder, welche aus dutzenden Kehlen kommen: "Ich weiß wie ich leben will, das macht ihr nicht kaputt".

Den Höhepunkt des Konzerts muss ich eindeutig Moglis Ansage gegen Homophobie beimessen. Wenn er davon erzählt, wie er selbst an "linken" Orten oft ein ungutes Gefühl in der Magengrube verspürt oder von der Diffamierung auf der Straße, von den vielen Menschen, die nicht verstehen wollen, dass man auch anders leben kann,dann lässt das einen schon schwer schlucken.

Das darauf folgende Lied war so ergreifend, dass es mir die Tränen in die Augen trieb. Ich kannte es leider noch nicht und kann auch den Text nur ungenau wiedergeben, aber Zeilen wie "Ich bin ein Junge und ein Mädchen. Ich bin ein Mann und eine Frau." und "irgendwann gehe ich in meinem schönsten Kleid auf die Straße und werde keine Angst mehr haben" (sinngemäß) haben mich tief bewegt. Heftiger noch als dieses sexistische Arschloch schräg vor mir, was mit seinen homophoben Sprüchen mit ein Anlass für ebenjene Angst sein musste, von der Mogli sprach . Wenigstens wurde jener "in seine Schranken verwiesen".

Noch viele wunderschöne Momente sollten folgen. Dies alles in Worte zu fassen, übersteigt wohl meine Möglichkeiten. Diese Stimme und die Geige, dieses Leise, dieses Laute, dieses Verzweifelte, dieses Liebende, dieses Kämpfende. Früchte des Zorns sind einfach einzigartig.

Auf eine ganz andere Weise einzigartig war auch der zweite Teil des Abends.

Nach den Zugaben "In meinem Kopf ist eine Bombe" und dem zweiten Mal "Nach Haus" stürmte der Yok zusammen mit der Hella die Bühne. Sozusagen das lachende Auge. Wenn auch von der Zielsetzung ähnlich, trotzdem total anders. Lebensfreude und "Freiheit satt". Zusammen waren sie bereits bei "Revolte Springen" aktiv und vermutlich war die Hella auch noch in dem ein oder anderen der unzähligen Projekte vom Yok, der eigentlich Jörg heißt, beteiligt. 44 wurde der Herr an diesem Abend. 22 Jahre bereits musikalisch tätig und 20 Jahre in Berlin. Na wenn das kein Grund zum feiern war. Als Quetschenpaua weit über die Grenzen von Punk und autonomer Szene bekannt geworden, ist er doch über all die Jahre "irgendwie" derselbe geblieben (auch wenn er laut Hella gestern sogar ein Ticket für die U-Bahn gekauft hat und auch ansonsten manchmal bloß "im Kopf total solidarisch" ist). Kreativ wie nichts, textlich und wortakrobatisch unerreicht und wer linksradikale, lebensfrohe Texte mit nem Akkordeon unter die Leute bringt, ist sowieso einzigartig. Mit E-Gitarre, Ukulele, Melodika und natürlich Akkordeon bewaffnet, spielten sie sich die Seele aus dem Leib und ihre Zwischenansagen ließen Lachmuskeln bersten. Zwischen debilen Zaubertricks und der ein oder anderen Story blitzte dann auch schon mal eine Coverversion von Oma Hans (es war "der Rasenmäher" ... der Yok sieht dem Jens Rachut übrigens erstaunlich ähnlich) oder Acapella-Songs durch.

Am Ende kamen sie dann noch einmal alle zusammen auf die Bühne und beschlossen einen wahnsinnig tollen Abend, der mir noch lange in Erinnerung bleiben wird.

Donnerstag, 5. Oktober 2006

Turbostaat am 04.10.2006 im Frühauf Leipzig

Da spielen doch tatsächlich die genialen Turbostaat in Leipzig. Das kann man sich doch nicht entgehen lassen, auch wenn mensch weder weiß wo das Frühauf ist (die Infos im Internet sind sehr spärlich), noch wann es losgeht. Also nach Leipzig, lecker Sternburg getankt und ab gehts. Wir waren zwar dreieinhalb Stunden zu früh da, aber das war nicht mal so schlimm. Das Frühauf ist ein netter alternativ ausstaffierter Keller mit viel subkulturellem Charme. Besonders toll ist die Bühne mit rotem Vorhang. Sehr schön. Da leider Dienstag war, kam ein Publikum, was hauptsächlich aus Mitte-Zwanzigern bestand, die voneinander nur durch ihre Auswahl an Buttons unterscheidbar waren. Fehlenden Individualismus kann halt keine Szene aufwiegen. Aber an dieser Stelle erspar ich mir das Gemotze über Studis, Alternative-Kultur, Trends und die Hamburger Schule. Dazu war dann Turbostaat doch zu geil. Doch vorher noch der Support durch eine Band mit Namen „The Data Break“. Passte zum Publikum. War nicht so mein Fall, allerdings war das Erstaunliche, dass gerade der Synthesizer alles gerettet hat. Dazu noch das Schlagzeug und es wäre sogar richtig geil. Leider mussten Bass, Gitarre und Gesang ja auch noch antreten. Naja, es war zu verschmerzen, kein epochaler Triumphzug in Herz und Geldbeutel, aber hörbar. Und dann kamen sie. Turbostaat war einfach nur so genial, dass ich es gar nicht fassen konnte. Vom Spielerischen her hundertprozentig auf CD-Niveau, wenn nicht sogar noch besser, dazu die Live-Atmosphäre, der niedliche Sänger, gute Kommunikation mit dem Publikum, welches sich sogar aufmachte mitzutanzen (was in den beengten Verhältnissen gar nicht so einfach war) und zack, war es eines der absolut besten Konzerte, was ich je gesehen habe. Wenn Turbostaat in deine Stadt kommt, schau sie dir unbedingt an!

Wünschenswert wäre mehr pogowillige Meute gewesen, so blieb es beim exzessiven Rumwackeln, aber war allemal geil. Von der neuen Single wurde auch fleißig gespielt und wenn sie nur halb so gut klingt, ist sie schon ein Pflichtkauf. Aber das Genialste am ganzen Abend war die Ansage vor dem letzten Lied. Die ganze Zeit gebangt, gehofft, gebetet, dass doch endlich "mein Lied" kommen soll, weil es doch mein Turbostaat- Favorit ist. Und dann hieß es:

So, seit 7 Jahren und 18 Tourneen spielen wir nun schon dieses Lied jedes Mal zum Schluss. Ich weiß gar nicht warum so genau, aber das ist halt so.

Und dann kamen doch tatsächlich die ersten Takte von eben jenem Lied. 18:09. Mist,verlaufen. Ich bin fast kaputtgegangen. Hammer.

Da der beste Indikator für ein gelungenes Konzert noch immer die Heftigkeit der Heiserkeit nach dem Konzert ist, muss ich noch hinzufügen: ich brachte danach kaum noch ein Wort heraus. Gespielt haben sie so gut wie alles, bleibt ja auch kaum was Anderes übrig bei zwei Alben, die zusammen bloß ungefähr eine Stunde füllen. Zwei Zugaben gabs noch und das Turbostaat-Erlebnis war perfekt.

Wer die Band noch nicht kennt, sollte mal auf deren Internetseite gehen (bei den Links), da kann man sich beide Alben herunterladen. Eines sogar in CD-Qualität. So muss Musik sein. Originale kaufen muss trotzdem sein. Und ist auch schon geschehen.


(Notiz: Mittlerweile sind Turbostaat bei einem Major-Label untergekommen und die Aussage, dass ich sie mit dem Kauf von CD's oder dem Besuch ihrer Konzerte unterstützen möchte, kann ich so nicht mehr stehen lassen. Nach drei unglaublich wundervollen Konzerten mit ihnen, brachten sie ihre dritte Platte "Vormann Leiss" heraus, die meines Erachtens nach nicht mehr mit ihren früheren Sachen vergleichbar ist und mich auf meinem vierten und bisher letzten Turbostaat-Konzert in ihrer Darbietung bodenlos enttäuschte. So kanns gehn mit Jugendlieben. Leider hab ich damals nie ein Review zum Konzert im UT Connewitz geschrieben. Das war eines der großartigsten Konzerte meines bisherigen Lebens...und wird es trotz allem bleiben.)

Sonntag, 19. März 2006

Fliehende Stürme in Chemnitz am 18.3.2006

So, damit hab ich also nach Glauchau letztes Jahr viereinhalb Monate später schon mein zweites Fliehende Stürme-Konzert hinter mir. Ein gutes Gefühl. Und wenn ich so zurückblicke muss ich sagen, dass ich dieses zweite, doch um Einiges objektiver einzuschätzen vermag. Der Mythos vom ersten Mal ist verblichen und lüftet den Schleier der Euphorie für Kritik . Nun ja, nicht wirklich. Auch Chemnitz war wieder ein wundervolles Konzert, an welches ich mich gern zurückerinnere. Nur fehlte diesmal das besondere Stück Einmaligkeit.

Nach einer zwar etwas planlosen, doch dafür erstaunlich perfekten Anfahrt, ging es nach Chemnitz in den Bunker, einer unterirdischen Location, von allen Seiten von Plattenbauten umzingelt. Gut getarnt jedenfalls. Ganz ungewohnt für ein Stürme- Konzi stolze 10 Euro Eintritt bezahlt und dann auch gleich unters wieder recht bunt zusammengewürfelte Volk gemischt. Der Altersdurchschnitt lag jedoch bedeutend höher. Substance of Dream kamen beim Publikum gut an und der Sänger quittierte es mit einem „Ihr seid zauberhaft“. Routiniert wurde das Programm inklusive Scheinwerferrumfuchteln und Nebel durchgezogen. Meine Lieblinge Paradise und Höllengott waren natürlich auch wieder dabei. Nach einer Zugabe ging es dann auch recht plötzlich mit den Stürmen weiter. Viele Lieder vom neuen Album wurden gespielt, die auch alle recht gut ankamen. Musikalisch war es diesmal eher minimalistisch. Soll heißen, dass die Melodien doch recht selten voll kamen und nur die gute Schlagzeugarbeit das Ganze wieder so genial gemacht hat. Mehrere Gitarrensaiten mussten dran glauben, so dass Andreas im Laufe des Abends nach der E- und der halbakustischen auf die Gitarre von Substance of Dream umsteigen musste. Unterhaltsam war es allemal. Und das ganz Besondere an einem Fliehende Stürme Konzert sind sowieso die Lieder, welche man bei keinem „normalen“ Punk-Konzert bekommt.

Himmel steht still stand da diesmal an vorderster Front (weil zu meinem Bedauern SchlafWandel nicht kam). Einfach fallen lassen, in Trance versinken und einmal wieder spüren wie gut es doch tut am Leben zu sein. Für solche Momente lohnt es sich doch noch, das alles.

Aber da das ja immer noch ein Punk-Konzert war, gab es natürlich auch wieder die hammergeilen Pogo-Knaller wie Zwischen Liebe oder Das Chaos brütet. Diesmal besonders krass war Trümmergemüt, welches statt der üblichen sechs Minuten, nur zwei bis drei benötigte und dementsprechend abging. Viel getanzt und heiser geschrieen und gemerkt wie sehr doch die eigene Kondition gelitten hat. So fast zum Schluss kam dann noch Kleines Herz, welches nie zu enden schien und das war auch gut so. Auf die alten Tage wurde noch Trinkerherz zelebriert und ich ging mit dem beglückten Gefühl, wieder einmal bei einem großartigen Konzert gewesen zu sein, nach Hause. Na gut, wir sind gefahren und die Bullen waren noch am stressen, aber Fliehende Stürme war es wert.

Die Vorfreude auf Fliehende Stürme und das Force Attack beherrscht von nun an alles.

Und ich warte immer noch darauf Wetterleuchten und Ein Tropfen im Feuer irgendwann einmal live zu sehen...

Noch eine diesmal recht unvollständige Setlist:

Kind
Das Nullsignal
Umarmung
Status
Trümmergemüt
Tag der Armut
Zwischen Liebe
An den Ufern
Höhlen sind dunkel
Springen
Spieler
Systemstörung
Killerblau
Trinkerherz
Kleines Herz
Himmel steht still
Maschinentrauma
Satellit
Das Chaos brütet

Alles falsch


(Notiz: *lach* ganz schön peinliches Review...hammergeil wie das abging *g* ...aber ich lass das einfach mal ohne jede Veränderung so stehen...vielleicht auch gerade deshalb.)