Samstag, 19. Mai 2007

letzter boysetsfire-Gig in Leipzig

18.05.2007 boysetsfire in Leipzig

Für einen Moment schließe ich die Augen. Leicht dröhnt das Lied aus den Boxen. Draußen ist es ruhig und warm, das Fenster weit geöffnet. You can hate what we create but we'll be standing here when everything falls apart." So viele Assoziationen, Erinnerungen und Gefühle kreisen unentwegt ums Haupt bei diesem Lied. Ein leichtes Lächeln. Achtzehnter Fünfter. Es sollte ihr, nun endgültiges, Abschiedskonzert werden. Diesmal auch wieder mit ihrem verunfallten Gitarristen. Für mich war es eines meiner schönsten überhaupt. Lernte ich sie nach ihrem eigentlichen Abschiedskonzert letztes Jahr im Conne Island erst richtig kennen und lieben und trauerte noch lange, dass ich sie nie wieder werde sehen können, so war dieses Konzert die „Handful of Redemption".

Where's your anger, where's your fucking rage?!?

Nach anfänglichen Ärgernissen und Problemen in der Organisation, kehrte ich nun relativ freudig nach langer Zeit wieder dorthin zurück, wo unter Umständen jetzt auch mein Lebensmittelpunkt hätte liegen können. Leipzig. Im Zug schnell noch meine selbstgebackene vegane Calzone vom Vortag verputzt (Hefeteig gefüllt mit diversem Gemüse und Kartoffeln) und ab ins CI.

Das Conne Island ist für mich ein Musterbeispiel, wie ein guter Konzertort sein soll. Als linkes soziokulturelles Zentrum erfüllt es wichtige Aufgaben, emanzipatorischer Anspruch, rundherum viel bewaldetes Grün, eine große Skate-Anlage, freundliche Menschen und die Türstehenden tragen Mob Action (platt, aber es gibt doch ein gutes Gefühl). Auf dem Grill liegt neben totem Tier auch immer Tofu und Vegi-Würstchen, wobei ich natürlich nicht widerstehen konnte. Die 1,80 gingen klar und verdammt schmackhaft, muss ich sagen. Auch wenn ich nicht grad ein Freund von Fleisch-Imitaten bin und lieber nix was so ähnlich riecht oder schmeckt futtere, so war dieses Vegi-Würstchen doch wirklich mal lecker (mal raus finden, wo ich so was fürs nächste Grillen mit meinen Carnivoren her krieg. *g*). Auch die angenehmen Getränkepreise überraschten.
Apropos Getränke. Ein big issue an diesem Abend. Es gab nur Wasser. Für mich. Mit Absicht und wie sich später auch zeigen sollte, ganz zu meinem Vorteil. Mir wurden die Vorzüge des Straight Edge- Gedankens schnell klar. Ekel überkam mich angesichts der rauchenden und trinkenden Menschen und mein Körper war mir auch sehr dankbar. So sehr ich Dogmen ablehne, so sinnvoll finde ich es, Hardcore- Konzerte rauch- und alkoholfrei zu gestalten. Könnte sich das kollektiv durchsetzen, wären das paradiesische Zustände.
Und der Betrunkene, der nach dem Konzert vom Team Wischmob und Eimer zum Aufwischen seiner Kotze gestellt bekam, sollte wohl auch einmal darüber nachdenken.
Natürlich kommt es auf das Konzert drauf an. Ich könnte mir kein Konzert von Fliehende Stürme ohne Zigaretten und Bier vorstellen.
Aber wer sich auf HC-Konzerten exzessiv bewegt, sollte lieber mal ein wenig kürzer treten. Und da finde ich auch Zigarettenqualm extrem störend. Für mich ist die autonome Entscheidung der beste Ansatz. Also kein genereller Verzicht, sondern nur ein „Ich entscheide, wann ich rauche/trinke." Und da kann ich es auch partout nicht ab, wenn mir jemand Tabakqualm ins Gesicht bläst. Körperverletzung ist das. Und eklig obendrein. Dass eine Zigarette so manches Mal auch seine Vorzüge hat, will ich nicht leugnen. Aber dann entscheide ich und niemand sonst. Passivrauchen ohne Einverständnis der Betroffenen ist ein aggressiver Akt, der Persönlichkeitsrechte einschränkt und Menschen physisch verletzt. Vielleicht etwas drastisch formuliert. Aber durchaus im Rahmen der Rechtfertigung.

Ich jedenfalls werde in Zukunft wohl öfter auf Alkohol bei HC-Konzerten verzichten.

Ach ja genau, da war ja auch noch ein Konzert. Es war ausverkauft, wie viele Menschen, keine Ahnung, wer schon mal da war, weiß ja wie groß das CI ist. 800? 1000? Mehr? Kein Plan. Jedenfalls legten „The Blackout Argument" vor und spielten feinen Hardcore, der einen sehr schönen Auftakt bildete. Noch besser gefielen mir allerdings „Dear Tonight", die mehr in die Richtung Emotional Hardcore tendierten und öfters mal ein paar schöne „At the drive-in"-Anleihen anklingen ließen. Waren beide durchaus gute Bands, die sehr viel zum Gelingen des Abends beitrugen. Nur das ständige Erwähnen von boysetsfire ging mir auf die Nerven. Beide Bands konnten durchaus als eigenständig gelten und hätten die Zuschauer_innen auch so für sich gewonnen. Da müssen doch nicht ständig Jubelpausen für die Haupt-Band sein. Egal. Ich mochte sie beide.

Und dann. Ja dann war es soweit. Im Player laufen sie schon wieder auf und ab und jedes Daten-Lied lässt zurück flüchten.
Den Anfang gleich „Release the Dogs" und die Massen bebten. Es war kein Mosh, es war kein Pogo, es war Geschiebe. Der Platzmangel machte sich erstmals negativ bemerkbar. Aber dafür gibt's ja Ellenbogen. Oder so ähnlich. Jedenfalls fand das Publikum so langsam in einen allgemeinverträglichen Tanzstil und die Jungs da auf der Bühne „rockten ohne Ende". Um mal das Phrasenschwein zu füttern. Es war so wahnsinnig intensiv. Ständig in Bewegung und keuchend weitergetanzt und gesungen. Ein ausgeklügelter Mix von langsamen und schnellen Liedern ließ jedoch immer genügend Zeit zum Verschnaufen. Sie spielten alles was gespielt werden musste. Auch „(10) and counting", meinen Liebling. Sogar in einer Acoustic-Version nur mit Gitarre und Nathan. Einen stillen Moment verharrend, die Gänsehaut spürend, den Kopf in den Nacken werfen und die Augen schließen. Was für ein wundervolles Lied.
Neben den vielen anderen, die live noch um so Vieles besser und vor allem extrem viel heftiger sind. Selbst jene, die mir auf CD nie so den Kick gaben waren einfach unbeschreiblich. Denke ich nur an „Reqiuem". Wundervoll war auch „Walk astray" und alle haben mitgesungen. Mensch hat aber auch sehr gut gesehen, wo die Herzblut-Fans und wo die Neulinge standen. Hat sich beträchtlich auf den Tanzstil ausgewirkt. War mir teilweise zu unkoordiniert, wenn nicht gar zu hart. Zumindest unangemessen. Teilweise. Aber bei den wirklich harten Liedern tat es gut auf Widerstand zu stoßen und ordentlich loszubolzen.


Und am Ende war ich nass. Verdammt nass. Ich hätte nicht durchnässter sein können, nach einer Runde Schwimmen mit voller Montur. Ich wüsste nicht, wann ich jemals so viel geschwitzt hätte. Mein T-Shirt konnte ich hinterher auswringen. Ein verdammt gutes Gefühl.

Total verausgabt. Gesund verausgabt. Körperliche Belastung, Körpergefühl, absolut am Ende. Aber mit dem Glücksgefühl wie nach einem Marathon-Lauf (zumindest soll das so sein, wenn mensch einen läuft, hab ich mir sagen lassen…).

Oder wie ich hinterher resümierend feststellte: „Nach einem guten Konzert fühlst du dich wie kotzen müssen. Nach einem sehr guten Konzert schaffst du das sogar ohne Alkohol."

Diesmal hatte Nathan auch die Enttäuschung des letzten Males (über das plötzliche zugabenlose Verschwinden) rationalisiert. Er meinte nur, dass sie lieber länger spielen und gleich gehen, anstatt dieses sich Feiern-Lassen ewig lang auszudehnen. Gute Idee. Das Konzert hätte trotzdem noch ewig weitergehen können.

„Rookie" und „After the Eulogy" bildeten traditionsgemäß den Abschluss eines genialen Konzertes. Ich glaube, wenn eine Band geht, dann gibt es keinen besseren Weg als so zu gehen. Dieser Schlussstrich hat sich gewaschen.

Trotzdem werden sie mir fehlen.

Aber wie Nathan (sinngemäß) sagte "wir sind nur die Cheerleader, aber die Leute die wirklich was bewegen seit ihr. Wenn wir gehen, werdet ihr noch da sein und weitermachen."