Samstag, 29. März 2008

Vitamin X, Dean Dirg, Everything falls apart, Liberty stands still im Zoro Leipzig

Unausgeglichen? Ständig müde? Keine Energie für gar nichts? Klarer Fall von Vitaminmangel - genauer gesagt: dir fehlt Vitamin X.

Zur Bekämpfung der Mangelerscheinungen werden intensive Behandlungen mit Live-Geballer, textsicheres Mitschreien und viel Bewegung im Pit empfohlen. Bereits nach einer abendlichen Anwendung zeigt sich eine deutliche Besserung der beschriebenen Symptome.


Ok, pseudo-kreative Einleitung, aber wenn Vitamin X in der Gegend ist, dann nichts wie hin. Dacht ich mir auch und hab mir ein Wochenende im wunderschönen Leipzig gegönnt.

Sehr sympathisch bereits der Veranstaltungsort. Ich für meinen Teil war das erste (und ganz bestimmt nicht das letzte) Mal im Zoro. Ein altes Fabrikgebäude, in dem auf vielen Etagen in vielen Projekten selbstverwaltet gelebt und gewirkt wird. Ohne jetzt viele Worte verlieren zu wollen, führte eine so simple wie angenehme Regelung selbst für die ersten Bands zu einer vollen Halle. Vor zehn Uhr vier Euro, danach sechs Euro. So hatten bereits Liberty stands still aus Zittau als erste Vorband die Chance viele Menschen zu begeistern. Und die haben sie vor ausverkauftem Haus auch voll genutzt. Schön melodischer Hardcore neuerer Prägung, der zwar noch keine großartige Bewegung ins Publikum brachte, aber doch nett anzuschauen war und sicher nicht nur bei mir eine positive Erinnerung zurückließ.

Anders als Everything falls apart aus den Vereinigten Staaten. An die kann ich mich musikalisch überhaupt nicht mehr erinnern. Ich weiß von ihnen nur noch, dass der Sänger sehr oft durchs Publikum gerannt ist und sich vermutlich unter den von ihm angeschrieen Menschen nicht viele Freund_innen gemacht haben wird. Durchschnittlicher Hardcore ohne hohen Wiedererkennungswert möcht ich mal meinen, anders kann ich mir kaum erklären, dass ich von denen überhaupt nichts mehr weiß...

Bevor ich weiterschreibe: ich hatte ja bereits den vorhergehenden Freitag mit Undressed Army Gelegenheit, mich mit dem Humor des Ruhrpotts bzw. der umliegenden Gegend auseinanderzusetzen. War ich schon von Undressed Army begeistert, so stellten Dean Dirg das sogar noch in den Schatten -
und dafür brauchen Dean Dirg noch nicht einmal Verkleidungen.

Der Sänger sieht aus wie der leibhaftige Doppelgänger von Wolfang Petry, der Atem wurde mit Pfeffi künstlich erfrischt, die Witze blieben allerdings trotzdem schlecht und bereits ab der ersten Sekunde bebte der Pogo-Mob. Knallt einfach, diese rotzige Mischung aus '77-Punk, Old-School-Hardcore und Stilen, von denen ich nicht den blassesten Schimmer hab plus Texte, die zumindest soweit ich sie kenne verdammt cool sind und sich ganz bestimmt nicht in diesem neuen Mainstream-Bollo-Blabla verlieren dürften.
Lieber Trucker als Tough Guy. So siehts aus.
Und keine fünf Minuten später fand sogar ich mich pogo-tanzend vor der Bühne wieder. Was schon was heißen will, da ich auf Konzerten in letzter Zeit immer öfter bewegungsunfreudig beim "Rumjewackl" verblieben bin. Aber vielleicht lag das auch daran, dass ich in letzter Zeit kaum noch auf wirklich arschtretenden HC-Shows war, bei denen entweder überhaupt nichts oder nur tough-guy-shit ging.

Dean Dirg brachten die Etage buchstäblich zum kochen. War es vorher etwas kühl, lief der Schweiß nun in Strömen und die Skala für kollabierende Lungenflügel schlug irgendwo zwischen "Pogo-in-den-Untergang" und "ich sollte meine Kehle mit einem erfrischenden alkoholfreien Getränk befeuchten" aus. Sehr sehr dicke Show. Und wenn wir schon bei dicker Show sind -

Vitamin X gabs ja auch noch. Ich hatte sie letztes Jahr bereits im Rahmen des Sucks 'n' Summer-Festivals in Leisnig im AJZ gesehen und war hellauf begeistert gewesen.
Tja, und was soll ich sagen. Der Eindruck wurde gestern in keinster Weise revidiert, höchstens aufgefrischt. Die meisten Lieder nicht länger als 1:30 (wenn überhaupt), ultraschnell und verdammt sympathisch. Volle Pulle Old-School-Hardcore inklusive Stirnbänder und den dazugehörigen Idealen. Unglaublich energiegeladene Hochgeschwindigkeitsmucke zwischen Pogo-Explosion, Circle Pit und der Konfusion, wie Bewegung unter diesen Bedingungen noch möglich ist. Ich weiß auch nicht, wie ich das noch weiter beschreiben soll, aber das was die Jungs da abgeliefert haben, kommt meinen Vorstellungen von einer idealen Hardcore-Show schon sehr nahe. Heftige Musik, politische Aussage und nen dicker Pogo-/Mosh-Pit. Wurde zum Ende hin zwar leider wieder etwas rabiater (und natürlich waren's dann auch wieder bloß Typen im Pit), aber trotzdem sehr sehr geil. Durchgeschwitzt, heiser geschrieen und kurz vom Kollaps. So sieht das Ergebnis einer guten Show aus und genau so sah es an diesem Abend auch aus.

Fettest!

Samstag, 22. März 2008

Sidetracked, Undressed Army und Reject in der Köpi

21.03.2008. Köpi. Koma F.

Von mehreren Seiten auf dieses Konzert hingewiesen, traf ich, so wie es mir in der Köpi eigentlich jedes Mal passiert, viel zu früh ein. Diesmal war es bei mir eine Stunde nach regulärem Beginn, eine halbe Stunde später sollte es dann tatsächlich los gehen. Also schnell noch das Warten mit ein paar unglaublich zuckerhaltigen, unglaublich leckeren veganen A.L.F. Soli-Muffins versüßt, während Reject aus Leisnig anfingen ihre Instrumente zu stimmen. Während ihres Auftritts hab ich mehrmals überlegt, ob ihr Hardcore nicht wirklich eine regionale Besonderheit aufweist. Zumindest einen dicken gemeinsamen Einschlag müssen sie haben, die ganzen Bands aus Rosswein, Döbeln, Leisnig und Umgebung. Denn ihre Art zu spielen ähnelt sich in verblüffender Weise. Reject waren nett anzuschaun, die Mucke gefällig, aber es war auch nicht viel mehr. Schuld daran war natürlich nur das Nicht-Spielen ihres Saft-Liedes ("we don't like beer, we want juice!"), auf das ich mich schon gefreut hatte. hihi.

Undressed Army aus dem Pott sollten folgen und die waren einfach mal nur schräg. Nicht nur, dass der Sänger im Pikachu-Kostüm auf der Bühne stand, welches er - der Größe nach zu urteilen - aus irgendner Kinderabteilung geklaut hat, auch der Bassist war sehr "schick". Das deutlich zu kurze, enganliegende David Hasselhoff-T-Shirt war vermutlich aus der selben Kinderabteilung, so dass sein entblößtes Körperschwerpunkts-Speckdepot sogar vom feschen Wickelrock samt Strumpfhose ablenkte.

Die Begrüßung des Publikums erfolgte mit "Hallo, wir sind Born from Pain aus Stuttgart" und in dem Stil sollte die ganze Show ablaufen. Zum Schreien komisch - wenn auch öfters mal recht grenzdebil. Aber das scheint im Pott so üblich zu sein. Mindestens so prollig, wie selbstironisch, mindestens so atzig, wie derb im Humor und irgendwo zwischen Lachnummer und cooler Aussage. Jedenfalls bespaßten sie das (kaum vorhandene) Publikum ne ganze Weile mit ihren deutschpunkbetexteten Hardcore-Songs und das machte unglaublich Laune. Und selbst der betrunkene Punk, der "Ihr seid scheiße" schrie, wurde mit einem launigen "Ja, das mag deine Meinung sein. Ist uns aber total egal" abgefertigt. Coole Band. Auf jeden Fall.

Den Headliner mimten Sidetracked, die kommen auch irgendwo ausm Pott. Der Bollo-Faktor gleich ungemein höher, auch kein Vegan-Button an der Gitarre wie Undressed Army, dafür ordentlich Bier und so klangen dann auch Ansagen wie Musik. Anlässlich des Karfreitags wurden den Stücken so Titel wie "Christen fisten" und "Katholiken fieken" gegeben und wenns halt mal mitm Einsatz nicht klappt, wird halt noch mal probiert - gern auch mehrmals. Die kämen garantiert nüchterner ein wenig besser rüber, so war es aber nur das übliche New-School-Bollo-HC-Gerumpel mit lustigen Ansagen. Naja.

Alles in allem ein lohnender Abend, auch wenn Undressed Army im Alleingang für dieses Urteil verantwortlich sind.

Samstag, 8. März 2008

The Dillinger Escape Plan + Poison the Well + Stolen Babies im Kato Berlin

7.3.2008 The Dillinger Escape Plan + Poison the Well + Stolen Babies im Kato Berlin

Vielleicht sollten das nächste Mal die Tickets mit Warnhinweisen versehen werden a la "Achtung: kann epileptische Anfälle verursachen" oder "kann zu dauerhafter Schädigung des zentralen Nervensystems führen" - zumindest kann ich mich nur noch bruchstückhaft an den Auftritt von The Dillinger Escape Plan erinnern und erst so langsam kommen die Erinnerungen wieder. Was ich von dem Konzert halten sollte, weiß ich trotzdem noch nicht so genau. Zumindest weiß ich aber nun, dass der Titel „The Best Live Band on the Planet", den ihnen die Zeitschrift Kerrang! gab, keine Übertreibung ist...


Aber von vorn. Dank mieser Organisation waren bei unserem Eintreffen die Stolen Babies bereits mit ihrem Set durch und bauten gerade ab, dabei war es erst kurz nach Neun. Ich hab es glaub ich noch nie erlebt, dass ein Konzert, bei welchem dies nicht ausdrücklich gesagt wurde (und selbst da kaum), zu früh oder pünktlich beginnt. Sehr obskur und so kann ich von denen nur sagen, dass sie sehr schicke Kostüme tragen...

Danach waren dann irgendwann Poison the Well dran. Hatte die immer eher in die Emocore-Ecke gesteckt, aber auf dem Konzert zeigten sie, wie toll sie doch Metal und Bollo-Hardcore kombinieren können. Dementsprechend war auch das Publikum drauf und auch wenn sie nicht wirklich schlecht waren, hat mich das Ganze ermüdet und angeekelt. Das kommt dabei raus, wenn mensch Hardcore/Metalcore auf Grund seiner Härte hört und damit keinerlei politische Grundpositionen bzw. Weltanschauungen verbindet. Schlägereien im Moshpit, aggressive Stimmung, Poser, Stylos, Bollos und biertrinkende Brutalos. Na klasse...fehlt nur noch, dass Make it count gleich noch spielt. Aber nun ja. Über was die Band gesungen hat, wurde mir als Nicht-Fan nicht ersichtlich, Ansagen gabs auch bloß im Stil von "schön, dass ihr hier seid", also scheinen die auch nicht so wirklich wert auf Aussagen zu legen. Ich weiß schon warum ich solche Konzerte mittlerweile meide. Sei's drum. Aus den Augen, aus dem Sinn, denn heute war ich aus einem anderen Grund hier. Und dieser lautete The Dillinger Escape Plan.

Nach einer ewig anmutenden Umbaupause lag der Konzertsaal irgendwann in tiefer Dunkelheit und (fast) undurchdringlichem Nebel. Ein paar umgebaute Mesa-Verstärker warfen abwechselnd blinkend und stroboskopartig weißes Licht in den Raum, aus dem Off schwoll Musik an und fünf kaum sichtbare Gestalten betraten die Bühne - das sollte sich auch während des gesamten Konzertes kaum ändern. Welche Eingebung auch immer es mir verriet, ich wusste, dass sie nur mit einem einzigen Lied beginnen konnten und als sie es dann schließlich taten, hatten sie mich bereits für sich gewonnen. Panasonic Youth. Dazu warfen die Flutlichtmaschinen so starkes rotes und grünes Licht in die Menge, dass das gesamte Blickfeld eingefärbt war. Und das in unglaublicher Geschwindigkeit, so dass die Lichtblitze Assoziationen an flackernde Monitore oder einen kaputten Fernseher aufkommen ließen und kollabierende Massen provozierten.

Die nachfolgenden Lieder waren mir teilweise bekannt, teilweise unbekannt, aber...es machte keinerlei Unterschied. Die Wände aus Musik, die Breaks, die vielen Tempi-Wechsel, die Riffs, dazu das Licht - es war einfach nicht fassbar. Es ging nicht in den Kopf hinein. Überfordernd und überkomplex sind die beiden Worte, die mir dazu als erstes einfallen, jedenfalls "Über-". In diesem Stil blieb das gesamte Konzert. Kurze Verschnaufpausen mit langsameren Passagen und dann aber auch gleich wieder gut strukturiertes Chaos. Dieses Erlebnis wird im Wikipedia-Artikel zur Band ganz gut
zusammengefasst:

...ein Autor der Zeitschrift Visions drückte es so aus: „Boah, sind die anstrengend", nölt's unbegeistert aus allen Ecken, während die Krachcore-Vorband auf der Bühne Wahnsinn und Weltuntergang beschwört. Liam Wilson räumte in einem Interview ein: „Ich glaube, wenn man uns nicht kennt und eines unser Konzerte besucht, kann das schon eine relativ schockierende Erfahrung sein."

Und in mir wuchs derselbe Eindruck und das obwohl ich meinte die Band zu kennen. Schockierend. Das trifft es ganz gut. In diesem Sinne aber auch bewusstseinserweiternd. Denn so etwas habe ich noch nicht erlebt. Gegen Ende des Konzertes zeigte die Band dann nochmal, dass das Label "Wahnsinn" nicht bloß auf ihre Musik passt, denn Sänger und ein Gitarrist der Band waren dabei, die Rohre an der Decke des Raumes als Kletteranlagen zu missbrauchen und sich durch den Raum zu hangeln, während der andere Gitarrist erst einmal im Alleingang den Moshpit aufräumte.

Jedenfalls sehr verstörend das Ganze. Verstörend und bereichernd. Und je länger ich über dieses Erlebnis nachdenke, desto faszinierender finde ich es. Wahnsinn im besten Sinne.

Vergleiche ich das Gestrige nun mit dem Konzert der anderen festen Institution im Mathcore/Chaoscore-Genre Converge, so haben jene eine komplett andere Art ein Konzert zu geben. Keine Epilepsie-Lightshow, eigentlich überhaupt keine Show, sondern stattdessen in bester Hardcore-Manier Equipment auf die Bühne und die Songs runterrotzen, was das Zeug hält. Auch wenn sie damit wesentlich authentischer sind, sie wirkten nicht im Ansatz so verstörend wie The Dillinger Escape Plan. Dabei ist die Musik von Converge noch wesentlich tiefer in ihrer Emotionalität und der Darstellung von Wahnsinn und Sickness. Als ich sie sah, war ein kleiner Traum in Erfüllung gegangen und es war ein großartiges Konzert. Wenn ich direkt vergleichen müsste, würde ich mich wieder für ein Converge-Konzert entscheiden, denn ich mag ihre direkte ungekünstelte Art. Allerdings muss auch gesagt werden, dass ich The Dillinger Escape Plan auf der Fünf-Stern-Skala ne glatte Fünf gibt, Converge dagegen nur eine Vier (aber das war auch widrigen Umständen des Konzertes geschuldet und wird sich dann im August, wenn auch sie im Kato spielen, sicher noch einmal ändern).

Gnadenloser Wahnsinns-Höllenritt-Abend, der jeder blöden Death-Metal-Band das Fürchten lehren würde...


Fünf von Fünf Sternen.