Donnerstag, 2. April 2009

Hotelzimmer Inferno im Duncker

Hotelzimmer Inferno hab ich, ganz im herrschenden Zeitgeist, irgendwann mal übers m*space gefunden, ein Add und schon wusste ich Monate später, dass das Konzert in Berlin im Duncker Club für lau stattfinden sollte. Gegenargumentationen gegen so ein Angebot laufen da ja wohl ins Leere. Im Nachhinein hätt ich wohl auch Eintritt bezahlt, hat aber nix mit Logik zu tun, denn - nein, an dieser Stelle kein schlechtes Wortspiel.

Mediotiv (die keinen einzigen Google-Hit liefern), eine reine "Frauenband", zog sich vorher noch deutlich in die Länge und irgendwie fiel es mir auch schwer, dafür eine Schublade zu finden. Wirkten Teile der Ansagen doch durchaus "politisch" und irgendwie auch so ein stückweit den ersten Anführungsstrichen des Absatzes entgegenwirkend, wäre das Prädikat queer im Endeffekt dann doch eher für das Gegenteil von geistiger Gesundheit zu verwenden. Irgendwo zwischen bemühter Jugendlichkeit/Lockerheit und seltsamen Anwandlungen der Sängerin mag das Ganze dann wohl doch deutsch-poppig in der Richtung vom kann-muss-nicht-Monster verortet werden. Vielleicht war das alles auch total gut durchdacht und voll kritisch und super engagiert, aber mir war das einfach zu anstrengend der Sängerin bei Michael Jackson-Posen und dem Sinnieren über die Bedeutung ihrer Strickjacke noch zu folgen und gehe deshalb auch schnell weiter zu dem was folgen sollte...

Hotelzimmer Inferno aus Leipzig (und London, ein Hoch auf die Weltgewandtheit, höhö) bereiteten dann einen Auftritt über den ich sehr gern viel schreiben würde, allerdings schon beim anderen-Menschen-davon-berichten gemerkt hab, dass das gar nicht so einfach ist.

Nun gut, die groben Grundstrukturen: fertig aussehender Schlagzeuger mit Silberjacke und Sonnenbrille, alternder Gitarrist mit Fähigkeiten, vorzeigbarer Bassist mit Emoscheitel und Explosion im hinteren Haarteil und...Frau Grande. Eine Meinung verglich musikalisch mit Hole, eine andere widersprach (weil Hole ja viel geiler sind!!!), Vergleiche hinken eh und dazu kommwa später auch noch...ich weiß nur, was mir die Ohren kaputt macht oder so. Jedenfalls find ich es grad schwierig meinen direkten Eindruck wiederzugeben, da ich mir im Nachhinein den meinungsbildenden Blog des HZI starke Verfälschungen eingefangen hab. Klar ist danach allerdings, dass bei ihnen wirklich alles vom Frau-Grande-Generalstab durchorganisiert wurde.

Die Bühne als konstruierter Raum der totalen Kontrolle und das Konzert als Dekonstruktion/Destruktion bis hin zum wiederum totalen Kontrollverlust. Dazwischen wechselhafte Stationen zwischen Brutalität, Verzweiflung, Punkrock, Lyrik und so weiter. Kapriziös verkörpert von der Figur Frau Grande. Zur Vorstellung, Frau Grande ist ein absatzvergrößertes Wesen, dass materielle Engpässe sowohl körperlicher als auch stofflicher Natur zu einer dominanten Kunstfigur verbindet, welcher das Pendeln zwischen Klischee und Brechung der schönste Zeitvertreib zu sein scheint. In längsgestreifter Strumpfhose und glitzerndem Oberteil kann die dunkle Drama-Queen ihre Auferstehung über den Pöbel feiern. Erhabenheit, Stolz und Unnahbarkeit kennzeichnen sie. Die Nase zu weit emporgereckt, um auch nur von den (leider existierenden) sexistischen Kommentaren merkbar Notiz zu nehmen. Nichts anderes als strikte Unterordnung unter das Programm gilt von nun an...und schon dieser Ausgangspunkt ist der Grundstein des Scheiterns an den Realitäten. Die Schönheitskönigin sieht nur Hässlichkeit in ihrem Spiegel, die Gesellschaft bringt ihr Denk- und Essstörungen, die Spaltungen, Frustrationen und Ängste sitzen tief, doch trotz lebenslang latenter Suizidalität: "du kannst versuchen mich zum kotzen zu bringen, doch dein Finger steckt nicht tief genug in mir drin". Stattdessen: "Ich möchte kein Teil dieser Gesellschaft sein (...) und vor allem nicht wie du."

Die Rosen am Mikrofon werden nach und nach zerrissen, Herzen mit Inschriften auf Vorder- und Rückseite (im Sinne von crack me - crack you, der "Personality Crisis" entnommen) im Publikum verteilt, Wasserfontänen ausgespiehen, Zusammenbrüche simuliert, Punk gemacht.

Musikalisch werden viele Welten durchgeschritten. Von rotzigem Punkrock, untermalt durch eine mindestens ebenso rotzig krächzende Stimme samt zugehörigen Texten über melodischere Stücke, deren Gitarrenläufe wohl nur mich an Die Art erinnert haben dürften, hin zu Balladen und einem Gedicht.

Da jedes weitere Wort sowieso nur verwässern würde, was die vorangegangenen bereits getan haben, kann ich nur hinzufügen, dass ich sehr beeindruckt war und mich irgendwie inspiriert gefühlt habe, von diesem Auftritt. Fünf von fünf oder so...

Samstag, 7. März 2009

Septic Dieter, Balboa Burnout, N.E.R.F. und Machete im Lokal

Nach zwei Tagen SO36 in Folge und diversen Negativerlebnissen aus Szene und Bewegung tat der Abend mal wieder mehr als gut. Die Diskussion, ob er für uns stattfinden sollte, war mal wieder der Ausgangspunkt. Da beim Lokal nie klar ist, wie viel der Eintritt sein wird und er dann meistens höher als gedacht liegt, auch irgendwo begründet. War jedenfalls gut sich dafür zu entscheiden, denn mit 6€ für vier Bands ging er an diesem Abend auf jeden Fall noch klar.

Bis auf die Ekel-Rauch-Stinke-Luft (manche nennen das ja 'Atmosphäre', hehe) wars schon gut gefüllt und gerade im Beginnen begriffen...noch nen Berlin-Szene-Pflicht-Getränk (Club Mate) eingeflößt und Machete beim Zocken zugeschaut. Den seltsamen Ansagen des Sängers zum Trotz ein cooler Auftritt, der mich musikalisch manchmal an Alpinist erinnern ließ, aber vermutlich gibt es in der Richtung noch deutlich treffendere Vergleiche. Gingen jedenfalls gut ab und wirkten wunderbar einstimmend auf das was noch kommen mochte. Stilistisch muss dem shoutendem Menschen jedoch zu Gute gehalten werden, dass kurze Jeans und Oberlippenbart ne top Kombi sind und so eine Ansage wie "nach 19 Liedern über Bier handelt das jetzt von so spanischen Arbeitern" schon gut kamen, vor allem in Verbindung mit dem dazu gehörigen Coverschlager "Samba Si, Arbeit no" von Roberto Blanco. Ganz großes Kino, sag ich da nur! Aber mein Verhältnis zu Schlagern gehört hier glaub ich nicht hin...

Die Nächsten waren N.E.R.F. und unkritisch wie immer fand ich auch die ziemlich cool. Inklusive dickem KORG-Synthie lustigen Punk gemacht - Powerviolence als Label dafür, von mir aus. "No limits"-Synthie-Cover, geht klar, schicke pinke Federboas, übergroße Sonnenbrille, Luftschlangen und Cowboyhut auch. Schön abwechslungsreicher und (selbst-)ironischer Auftritt, mocht ich - auch musikalisch.

Balboa Burnout als eigentlicher Headliner nun schon als dritte Band. Tja, schwierig das einzuschätzen. Den Auftritt fand ich schon recht gut, allerdings hab ich das Problem, dass ich durch El Mariachi (die ich nie live gesehn hab) vorgeprägt bin und dementsprechend die Musik nicht so gut fand, wie anno dazumal. Nach eingängiger Diskussion nach dem Auftritt sind mir jedoch noch mehr Dinge klar geworden. Zum Einen, dass der Grat zwischen "Rampensau" und "Proll" manchmal relativ schmal ist und zum anderen, dass der Sänger wie die Band diesen Grat perfekt verkörpern. Also klar, könnt ich mich hinstellen und das als prollig abtun. Doch selbst mit ner "Tschüssikowski ihr Arschgeigen"-Verabschiedung ist das irgendwie nicht gerechtfertigt. Da standen Menschen auf der Bühne, die einfach noch an Hardcore glauben und schon - für die Verhältnisse modernen deutschen HCs - ewig dabei waren. Glauben sollte in diesem Zusammenhang wohl eher in Großbuchstaben geschrieben werden - das Glänzen in den Augen des Sängers als Beleg dafür. Sie schienen viel Spaß an dem zu haben, was sie da machten. Und das übertrug sich auch. Die eingangs erwähnte Kritik meinerseits ändert daran nichts. Denn der Auftritt war...ja, jetzt kommt wieder das böse A-Wort...authentisch. Müsste öfters gesagt werden, denn oft gibts das nicht mehr. Klar, Bock auf ihre Musik haben viele Bands, aber ihre Verkörperung auch zu leben, nun ja. Jedenfalls sehr unterhaltsam - auch durch die Bebierduschung des Bassisten, hehe. Was ich von Balboa Burnout musikalisch nun so recht halten soll, weiß ich noch nicht, aber da waren auch einige schöne Melodien bei.

Für den würdigen Abschluss des Abends sorgten Septic Dieter. Wiederum sehr unterhaltsam. Wenn ich das jetzt schon mehrmals geschrieben hab, so soll das keineswegs abwertend klingen, vielmehr hab ich mich den ganzen Abend über sehr gut unterhalten gefühlt, viel gelacht, gute Musik gehört und ganz viel Spaß gehabt (alkfrei! wen auch immer das interessieren mag...). Septic Dieter machen Thrash, in diesem Fall bedeutete das kurze, schnelle, lustige und politische Liedeleins, die zu überzeugen wussten. "Deutschland ist halt ein Opferland" - amen. Nichtsdestoweniger trotzdem auch "Arsch frisst Hose" und "das nächste Lied handelt von Leuten, die die Klettverschlüsse ihrer Schuhe nicht zu kriegen" (oder so ähnlich). Alles was gebraucht wird. Politisch ernst, menschlich humorig, musikalisch ausgereift (?) und insgesamt empfehlenswert. Ich überleg grad welche Band des Abends mich so stark an Dean Dirg erinnert haben - glaub es war Septic Dieter.

Jaja, die Abende, die am Längsten in der Schwebe hängen, sind manchmal dann doch die Geilsten. War lange nicht mehr auf so einem angenehmen und positiven Konzert. War sehr fein, das alles.

Freitag, 24. Oktober 2008

Tesa, Silards, Insuiciety, Who's my saviour, Sugartown Cabaret in der Scharni 38

Ist mittlerweile ja auch schon wieder ewig her. Trotzdem jetzt noch das Review. Vorausschickend sei zu erwähnen, dass dies mal wieder einer jener Abende war, die noch lange nachwirken und Erinnerungen produzieren, deren Bewahrung noch lange Kraft spendet. Also einer von den ganz großen. Auch wenn Tesa aus Riga alles übertrumpfte, so war die Mischung der Bands davor auch ein verdammt guter Ausgangspunkt dafür.

Die Scharni38 kannte ich bisher hauptsächlich vom Schnarup-Thumby, die Kneipe, die ebenfalls darin beheimatet ist und ihren vormals großartig trashigen multisexuellen Parties. Leider sind die jetzt musikalisch hauptsächlich mit Elektro-Kram statt Alltime-Trash und Hits gefüllt. Trotzdem sehr nette Location, in der ich immer wieder gern bin.
Trotz viel zu spät da sein, waren wir zu früh. Aber das ist ja nicht ungewöhnlich.

Den Anfang machten dan irgendwann Sugartown Cabaret. Emocore aus Frankreich und sehr angenehm. Mochte sie auf Anhieb, die Musik ist einfach mindestens genauso gut wie deren Zurschaustellung, alles passte, gelungener Auftakt. Texte kenn ich natürlich keine.

Who's my saviour aus Rostock machten so ne Art Death Metal, der irgendwie aufgesetzt und viel zu lieb und durch völlig deplazierte Knüppelpassage mehrlustig denn bitterböse wirkte.

Insuiciety hab ich ja nun auch schon mehrfach gesehen und fand sie auch an diesem Abend wieder fein, wobei ich teilweise sogar Zugang zu ihrem neuen Material gefunden habe, was metallischer und weniger Sludge als noch das alte (tolle) Zeugs daherkommt.

Die drei ersten Bands habe ich jetzt nur im Schnelldurchlauf vorgestellt, weil sie zwar für einen netten Abend sorgen konnten, aber nie auch nur ansatzweise das hätten ersetzen können, was nun folgte.

Silards ist ein Nebenprojekt von Tesa. Selber Drummer. Ob die beiden anderen auch bei Tesa sind, weiß ich grad nicht. Jedenfalls noch ne Heimorgel und ne Gitarre und komplett instrumental. Und komplett tanzbar. Sehr beschwingt und positiv das Ganze. Ich mochte es sehr, hat dem spät gewordenen Abend wieder neues Leben eingehaucht. War sehr schön, wenn auch noch lange nicht so athmosphärisch wie Tesa.

Ein schlagzeugspielender Kumpel kam den ganzen Auftritt über nicht klar, was der Drummer da hinlegte. Und ich konnte in Ansätzen nachvollziehen was er meinte. Schlagzeugeinlagen übelster Sorte und dazu noch die Vocals - Respekt. Naturtalent, gute Übung, was auch immer, mir egal, aber der war richtig großartig.

Vermutlich war es genau der souverän geführte, extrem abwechslungsreiche Rhythmus, der dazu führte, dass Tesa in Tiefen vordrangen, die ich sonst den wenigsten Bands, die nach Screamo-Art Musik machen, zusprechen würde. Aber vielleicht kenn ich mich in dem Sektor auch nur zu wenig aus. Envy aus Japan ist immer mein schlecht passender Vergleich, der unter Umständen helfen kann, ein wenig der Wirkung Tesas zu erklären, wenn mensch die noch nie gehört hat. Nicht ganz so episch und auch nicht so (wut)ausbruchlastig, dafür mindestens ebenso in sich ruhend und alles in sich aufnehmend. Musik, die zum versinken einlädt. Die Lieder gingen entweder ineinander über oder waren kaum zu trennen. Keine Ansagen. Augen zu und reingelegt. Abschweifende Gedanken und Bilder glücklicher Tage im Kopf, flossen die Ströme der Erinnerung im Verlauf der Melodien vor sich hin und wuchsen mit der Intensität der Musik.

Ihre Myspace-Seite nennt unter anderem als Einflüsse Isis, Converge und Sigur Ros woran schon zu sehen ist wie weit gefasst das Spektrum und wie tief die Abgründe sind, welche Musik mit diesen Eckpfeilern beinhaltet.

Wie lange sie gespielt haben, kann ich im Nachhinein kaum sagen, auch nicht was und wie und so weiter. Weil es empfindungsmäßig in einer anderen Realität angesiedelt war. Eine, in der es nicht ums aufnehmen und realisieren, sondern ums verschmelzen und sich Verlieren geht. Und genau das ist passiert. Fühl mich grad als würde ich über Trance oder irgendwelche andere Elektro-Mucke schreiben, aber vielleicht sind die Erfahrungen auch gar nicht so unterschiedlich. Nur, dass sie zu mehreren Zugaben gezwungen wurden und dass das bei ner Band wie Tesa heißt, dass sie mal eben ne halbe bis dreiviertel Stunde länger spielen müssen. Die Armen waren am Ende total erschöpft und es war auch schon halb fünf oder so.

"Mal wieder" (hehe) eines dieser bewusstseinserweiternden Konzerte und obwohl ich Tesa schon einmal gesehen habe, fand ich sie diesmal noch beeindruckender und tiefergehender.

Glatte Fünf von Fünf für den Abend.

Sonntag, 5. Oktober 2008

Fliehende Stürme & Die Angst in der Chemiefabrik Dresden

+++Vorbemerkung: Nach Verfassen des Reviews wurden mir äußerst beunruhigende Infos (danke an killerblau dafür!) über den politischen Charakter der Vorband zuteil. Aus Faulheit ergänze ich einfach nur den Absatz, der von ihnen handelt.+++


Manchmal ist Timing einfach alles. Manchmal sind solche Sprüche aber auch der absolute Schwachsinn - wie so vieles.
Jedenfalls hat mich der Berlin-Koller diesmal im exakt richtigen Moment getroffen - nämlich erst kurz vor der Abreise Richtung Dresden. Klappt halt doch. Manchmal.

Der Grund Hauptstadt gegen Landeshauptstadt zu tauschen war offensichtlich ein gewichtiger. Fliehende Stürme. Das letzte Mal in der "alten" Besetzung - also jene, die ich live seit meinem ersten Stürme-Konzert gewohnt bin. Spät geboren halt.

Dank Deutscher Bahn endete die Fahrt vorerst in Coswig. Ostdeutsche Provinzbahnhöfe sind doch das Coolste. "Sie haben noch Anschluss an Oberlippenbartensemble und Intoleranz mit erhöhter Wahrscheinlichkeit neonazistischer Übergriffsszenarien". Vielen Dank Lügen-Schaffnerin, nix mit S1 nach Schöna. Nach dem ersten Grummeln jedoch eine hauptstadtarrogante Überraschung - nur eine halbe Stunde bis zur nächsten S-Bahn. Hammer. Mensch rechnet ja immer mit dem Schlimmsten außerhalb des Berliner S-Bahn-Ringes, hehe.

Jedenfalls kurz darauf in der Dresdener Neustadt aufgeschlagen und gerstensaftversorgt ab in die Chemiefabrik. Sehr netter Laden und gleich für perfekte Ausgangsbedingungen gesorgt. Sternburg Export im Thekensortiment, dazu Stürme und Die Angst, das gabs doch schon mal...damals in Potsdam. Und, wie sollte es anders kommen, wurde auch dieses eines der schöneren bis schönsten Stürme-Konzerte.Allerdings mit einem bitteren Nachgeschmack...

Die Angst. Ja, der Name passt, denn nachdem ich jetzt weiß, was mit denen geht, bekomme ich es doch auch ein wenig mit der Angst zu tun. Einer von denen spielt auch bei Sonne Hagal und die hängen in dieser ganzen Neofolk-Nazikacke tief mit drin. Ausführlicheres gibts beim Ex-Die Angst-Label:
Thought Crime Records

Da schreib ich was über Neo-Nazis in der Provinz und schau mir selber einen auf der Bühne samt Band, die sich dazu nicht äußern will, an. Zum kotzen.

Schon erstaunlich, dass das so wenig bekannt ist. Denn auch wenn ich die Chemiefabrik nicht kenne, so wirkte sie auf mich doch wie ein liebenswürdiger Rückzugsort linker Subkultur(en). Und wissentlich hätten die so einen Gig sicherlich nicht durchgehen lassen. Krasse Scheiße jedenfalls. Den Rest, den ich über die Angst schrieb, lösch ich raus. Mich würde nur interessieren, wovon eines ihrer Lied handelte, in dessen Refrain "Auschwitz" und "Bergen-Belsen" fielen. Mehr war nämlich für mich nicht zu verstehen und nach diesen Erkenntnissen wirkt das doch mehr als zynisch alles...und es zeigt, dass der Grat zwischen "dunkler" Musik und religiösen/ rassistischen/faschistischen Ideologien unglaublich schmal ist. Unpolitisch gibts halt doch nicht. Gerade vor diesem Hintergrund finde ich es gut, dass Fliehende Stürme auf ihrem neuen Album wieder deutlichere Worte finden, die an die guten alten Chaos Z-Tage zurückdenken lassen:

Hör nicht hin/ Nur noch Wut/ Es ist falsch/ Leerer Raum/ Immer das Gleiche/ Schon gelebt/ Keine Heimat/ Nicht existiert (Fliehende Stürme - Ex-ist)

oder halt die klassische Absage an Deutschland und den ganzen dazugehörigen Dreck:
"Ich glaube nicht an dich/ Ich spucke dir ins Gesicht/ Und mich, mich kriegst du nicht" (Chaos Z - Krass)

Aber, da ich das ja wie gesagt das alles erst hinterher erfuhr, ging der Abend unbetrübt und gutgelaunt weiter:

Und die Stürme. Dürfte mein neuntes Konzert mit ihnen gewesen sein. Sehr beruhigend zu wissen, welche Auswirkungen ein Stürme-Konzert haben kann und wird. Die entnervenden Tage und Wochen vorher mit sternburgbelasteter Stürme-Athmosphäre weggespült - einfach eine perfekte Entgiftungs- und Entrümpelungskur gegen Berge aus kontaminiertem Gedankenmaterial. Und mit der Gewissheit, dass das passieren wird, lebt sichs doch gleich viel freier.

Jedenfalls waren mal wieder all die essentiellen Bestandteile eines Stürme-Konzertes vertreten und auch die zusätzlichen Liedelchen trafen meinen Geschmack. Von "das Chaos brütet" über "Alles Falsch", "An den Ufern" und "Tag der Armut" bis hin zu "Die aus dem Schatten springen" und "Killerblau" riss jedes Lied tiefere Furchen in die Kehle, welche von der ersten bis zur letzten Zeile jedes Lied der Bühnen-Klangwand entgegenschleuderte.

Leerschreien. Was für ein befreiendes Gefühl.
Erstaunlich, dass ich danach kein bisschen heiser war.

Auch von den neuen Sachen wurde viel gespielt. "Lunaire" und "Bakterien", aber auch "Erinnerung", "Kind" und so weiter. Die Mischung hat gestimmt - weil sie einfach ganz viel gespielt haben. Sie konnten sich zwar nur zu zwei Zugaben überreden lassen, aber das hat schon gepasst, denn die wichtigsten Lieder fielen ja bereits.

Was mir mal wieder besonders positiv auffiel ist die beinahe Unsichtbarkeit der Band. Sie kommen auf die Bühne, wünschen einen guten Abend, trinken ihre Biere, rauchen ihre Zigaretten, sagen wie das nächste Lied heißt und spielen es runter. Irgendwann wünschen sie eine Gute Nacht und "kommt gut nach Hause" und das wars dann.

Keine bescheuerten Ansagen, keine unnötige Selbstdarstellung, keine "Choreographie". Einfach nur Fliehende Stürme. Texte und Musik reichen aus, um alles zu (er)klären.
Mehr bedarf es nicht.

Das beeindruckte mich schon beim ersten Mal. Und das wird es noch oft tun. Auch wenn es mittlerweile dank Routine nicht mehr dasselbe ist, wie vielleicht das erste oder zweite Mal - so bleiben es doch immer wundervolle Momente der Weltentbundenheit, um nicht zu sagen Freiheit. Oder noch pathetischer: Dunkelfreiheit. Ja, vermutlich relativ genau so:

"Ich will durch die Zeiten wüten - nichts tun, was mir nicht gefällt
Whiskey trinken in der Hölle - Stimmung ist so killerblau

Drück mich kräftig doch halt mich nicht zurück
Drück mich kräftig - ich suche das Glück"

Freitag, 3. Oktober 2008

03.10. Kafkas, Culm und Grizou im Lokal (Berlin)

Der Tag der deutschen Einheit ist ja tendenziell eher ein Tag für Grummelstimmung zwischen patriotischen Radiomoderationen und Festlichkeiten für keine Ahnung wen. Aber mit einer Dauerschleife "Deutschland has gotta die" von Atari Teenage Riot und der Gewissheit, dass es am Abend noch ein schickes Konzert geben wird, können darüber hinwegtrösten, dass es einfach ein Scheißtag ist.

Am meisten hab ich mich merkwürdigerweise nicht auf die Hauptband gefreut, nein, vielmehr wollte ich endlich Grizou (aus Berlin) wieder sehen. Zwei Mal sah ich sie in der Vergangenheit bereits als Vorband. Einmal von The Devil in Miss Jones und einmal von den Boxhamsters. Letztere spielten sie locker unter den Tisch und auch wenn ich die Aufnahmen, die ich von Grizou habe (also das Gratiszeug ausm Netz), eher mäßig bis ganz gut finde, sind sie live doch mehr als lohnenswert (weil schneller und härter!).

Sie machen einen Stil, den es viel zu selten gibt. Musikalisch im Deutschpunk verwurzelt, aber trotzdem an den Instrumenten fit, schöne Melodien, verbunden mit einem Gesang, der beste Screamo-Qualitäten aufweist und schon gibt das ne schicke Mischung. Weiß gar nicht, was ich großartig dazu schreiben soll außer, dass sie mich wieder einmal ziemlich begeistert haben. Die neuen Sachen (wie neu sie auch immer sind), klingen teilweise richtig gut - am meisten hat mich jedoch gefreut, dass sie ihr Konzert mit meinem Liebling "Das Leben ist schön" beschlossen.

Danach waren "Culm" (aus Rheine) an der Reihe. Die gaben ihr letztes Konzert und bezeichnend war wohl, dass es in Berlin als Vorband der Kafkas und nicht in ihrer Gegend als IHR Abschiedskonzert stattfand. Dementsprechend war auch die Musik. Ganz nett, aber irgendwie doch nur Schublade Indie-Rock (und nicht "Post-Core" wie auf den Plakaten) und ohne Zugabe von der Bühne. Blass und schnell vergessen. Auch wenn es fies ist, so etwas über ein Abschiedskonzert zu schreiben und natürlich nur das ist, was ich empfunden habe.
Ich hoffe ehrlich, dass es anderen Menschen anders erging. Sonst wärs wirklich fies.

Und dann auch "schon" die Kafkas, war ja erst mitten in der Nacht, weil das Konzert so spät begann. Jedenfalls, Kafkas. Hab ich in meiner Teenie-Deutschpunk-Zeit relativ oft gehört. Also das Album "Privilegienthron". Mit mehr hatte ich damals nicht viel zu tun - den Rest erst später beiläufig entdeckt. Und fürn Fünfer sieht mensch doch gern mal so ein Stück Jugend. Am Treffendsten für diesen Auftritt ist vielleicht der Begriff "schräg".

Zwischen reich verteilten Pöbeleien des Sängers an seine Mitmusizierenden und der Feststellung, "dass ihr das geilste Publikum seid, dass wir je hatten - danke Hamburg!" gabs auch Musik. Die war laut und bei den Liedern, die ich kannte auch sehr schön - weil mitsingen können und so. Die neuen Elektropunk-Tracks kamen vom MP3-Player, der nicht so recht wollte, und irgendwo auf dem Boden kurz vorm Drauftreten lag. Die gerissene Saite sorgte für minutenlange Kleinkunstaction. Die Einlage einer Zuschauenden mit so nem Karnevals-Song von wegen totem Mops oder so, war nur beim ersten Mal lustig - beim zweiten Mal eher anstrengend. Auch die Einbindung einer Pöbelecke eher nervig - denn Menschen, die sexistische Beleidigungen von sich geben, brauchen meines Erachtens nach, nicht noch extra Bühne und Aufmerksamkeit zu erhalten.
Gab aber auch schön Vegan- und Tierrechtspropaganda und so soll das doch auch sein. Wenigstens ein steckenpferdiger Anfang, um die p.c.-Ehre zu retten.

Die Songauswahl hat im Endeffekt auch ganz gut gepasst, auch wenn ich weniger kannte als angenommen. Aber gibt ja auch bald ein neues Album. Sehr gefreut hab ich mich über "Lebensrezeptur".

Skurril und teilweise beinahe schon absurdes Theater, aber ein schöner Gig.
Und ein schöner Abend.

Samstag, 2. August 2008

Sucks'n'Summer 2008 - Samstag

Da am selben Tag in Leipzig der Rave für Tierbefreiung statt fand, musste ich vorerst mit elektronischer Musik vorlieb nehmen und verpasste einige der frühen Bands. Voll mit elektronischen Beats musste dann der Hardcore seinem Namen erstmal gerecht werden.

Die ersten, die ich sah, waren eine lang verschollene Früh-Jugend-Erinnerung: Misconduct. In eben jenem AJZ Leisnig waren sie Hauptbestandteil meiner allerersten Hardcore-Show. Keine Ahnung wann das war, scheint Ewigkeiten her zu sein. Jedenfalls war die Show großartig und Misconduct auch. Ein wenig verlor ich sie aus den Augen, doch es war hübsch sie einmal wieder zu sehen. Auch wenn vor der Open Air-Stage gegen 18:00 noch nicht so viele Menschen versammelt waren und nur einige eingefleischte Fans für Stimmung sorgten. Dazu gehörte ich allerdings merkwürdigerweise auch recht schnell wieder. Denn ihr süßer schwedischer Melodycore mit den plakativen Texten, geht schnell ins Ohr und viele Lieder konnte ich auch nach Jahren noch mitsingen. Sehr angenehmer Einstieg, auch wenn ich an Unity und Hardcore Pride irgendwie nicht mehr so recht glauben mag. Erstaunlich, dass das bei ihnen trotzdem nie prollig oder machomäßig wirkt, sondern aus tiefster Überzeugung heraus entstanden zu sein scheint. Menschen mit Überzeugungen.

Weiter ging es mit All for Nothing aus den Niederlanden, die mit ihrem schweren female-fronted Hardcore alles überrollten und die Stimmung anzuheizen vermochten. Relativ coole Band, die mensch sich gern mal geben kann. Allerdings auch nichts, was jetzt irgendwie sonderlich herausragt.

Sworn Enemy wollten wir bewusst verpassen, durch einen unvorhergesehenen Line-Up-Dreher, verpassten wir aber stattdessen Wisdom in Chains. Sworn Enemy machen metallischen Bollokram. Muss ich mehr sagen?

Danach dann allerdings eine Überraschung: The Architects. Die waren richtig geil und erinnerten in ihren besten Momenten an Dillinger Escape Plan. Ein breites Grinsen im Gesicht für ihr professionelles Gefrickel da oben. Sehr schnell unterwegs und technisch immer für eine unerwartete Wendung gut. Haben sehr viel Spaß gemacht!

Und waren doch nur Wartezeitüberbrückung für die heiß ersehnten Bane. Auch ganz in der Gegend, nämlich im Jugendhaus Rosswein, sah ich sie vor einiger Zeit das erste Mal und die Jungs aus Massachussetts vermochten es doch glatt meinen Glauben an Hardcore wieder herzustellen. So eine Aufrichtigkeit, so ein Commitment und so viel Herzblut, was sie verströmen - das steckt an. Die leben Hardcore mit allem was das heißt - und das schon seit vielen Jahren. Und bleiben den Idealen treu, von denen die neueren Hardcore-Generationen so wenig wissen wollen. Leicht gealtert stehen sie da auf der Bühne und schaffen es (nicht nur mich) noch immer zu elektrifizieren. Für die verliere ich doch gern im riesigen Outdoor-Circle Pit meinen Schuh. Wenn mir dann Leute wieder aufhelfen und mir zeigen, dass es das alles noch gibt, was Hardcore heißt.
Und kommen dann die Anderen, die "neuen", dann ist klar was passiert. Ein Typ hat einem anderen paar gelangt - einfach so. Bane beenden ihr Lied und sagen, dass sie nicht weiter spielen, bis dieser Typ sich verpisst. Weil sie so etwas nicht haben wollen auf ihren Shows. Weil sich so etwas nicht gehört auf Hardcore-Shows. Und weil viel zu wenige Bands das Maul aufmachen, wenn es so weit kommt. Weil jene Bands die Kids im Pit scheinbar nicht mehr interessieren.

Ich bin so froh, dass es noch Bands wie Bane gibt. Und solange sich das nicht ändert, glaube ich auch weiterhin manchmal noch an Hardcore und alles was damit zusammen hängt.

Ein Beispiel mag vielleicht sein, dass ich bei Weitem nicht Straight Edge bin. Allerdings verbietet es mir der Respekt vor den Bands und deren Lebenseinstellungen auf Hardcore-Shows zu trinken (rauchen sowieso nicht). Schade, dass ich damit relativ alleine da stehe.

Denn gleich danach kam der Vorschlaghammer, die Ideale zu zertrümmern. All Shall Perish. Widerlicher Metalcore für Tough Guys, wobei das -core auch getrost weggelassen werden kann. Das hat nichts mehr mit dem zu tun, was Hardcore mal hieß und teilweise noch heißt. Ich bin auch gleich gegangen.


Wie bereits am Freitag wurde das Festival gegen Mitternacht wieder ins gemütliche AJZ verlagert und noch einmal richtig Gas gegeben.

Begonnen wurde mit Strength Approach aus Rom, die viel mit den sich noch anschließenden To Kill zu tun haben, die ebenfalls aus Rom kommen. Sowohl musikalisch als auch meinungsmäßig und von ihrer Klasse her, stimmen sie so mit To Kill überein, dass ich auch gleich über die schreiben kann. Sehr schnell, leichte Metallkante (Strength Approach nicht so sehr), aber trotzdem Hundert Prozent Hardcore. Vegan Straight Edge - Commitment for Life. Hehre Ideale, hochpolitisch und krasse Mucke. Zwei Bands, die unheimlich Spaß machten. Schade, dass mir schon so viel in den Knochen steckte, sonst hätte ich mich liebend gern zu beiden verausgabt. Unbedingt mal geben, wenn die in der Stadt sind.

Tja, und auch wenn bzw. weil es eigentlich kaum noch besser werden konnte, musste das halt trotzdem noch passieren.

Den krönenden Abschluss des diesjährigen Sucks'n'Summers bildeten die großartigen Tangled Lines, die großteils aus Dresden kommen. Den Drummer teilen sie sich mit Vitamin X und wer die kennt, weiß wie rasendschnell der ist. Auch stilistisch sind The Tangled Lines in dieser Richtung zu verorten. Sauschnell, laut und den Idealen des Hardcore noch immer verhaftet. Dazu ein schöner "Hauch" Ostigkeit - der Gitarrist mit langen Haaren und Oberlippenbart könnte auch einer 70er-Jahre-DDR-Rockband entsprungen sein - inklusive Dialekt. Die alte Schule mit schnellerem Beat.

Für Hardcore (leider) genau so ungewöhnlich wie wohltuend, dass es eine Sängerin gibt. Und auch wenn ich es doof finde, plötzlich mit Schwärmen anzufangen, wenn da mal kein Typ auf der Bühne steht, aber die Frau ist einfach bezaubernd. Die Freude, der Glanz in den Augen, die Ansagen, da steckt noch Feuer und Energie dahinter. "Zum Glück sind die Windmühlen schon nach Hause gegangen - wer hier Windmühlen machen will, kriegt von mir persönlich paar mitm Knie in die Eier" und alles ist geklärt. Kein Metal-Mosh, kein Tough-Guy-Shit, nur Stage-Diving, Circle Pits und dick Pogo. So macht Hardcore noch Spaß. Leider war ich selbst -wie gesagt- nach den beiden Tagen total platt, so dass ich nicht mehr viel mitgemacht hab, aber diese Band ist einfach zu geil. Poltern in einer atemberaubenden Geschwindigkeit los und kaum ist das Lied zuende, entschuldigt sich die Sängerin, dass sie langsamer geworden sind, weil sie nicht mehr so oft auftreten. Da sind die Sympathien klar verteilt. So liebe ich Hardcore. Ohne Bollos, Hools, Metal-Anleihen und Tough-Guy-shit. Stattdessen authentischer Hardcore, bei dem alle Spaß haben sollen.

Das Lustigste war das Ende. Nach einer Zugabe meinte die Sängerin, dass sie nichts mehr können und ihre Stimme im Arsch ist. Nach ewigen Diskussionen meinte sie dann, dass ja ein oder mehrere Menschen aus dem Publikum noch ein Lied singen könnten. Und so geschah es dann. Zwei-drei Typen kamen auf die Bühne und performten ein Tangled-Lines-Stück. Sehr sehr hübsch. Wie die Tangled Lines insgesamt und To Kill und Bane und all der Hardcore-Spirit, der einmal mehr seinen Weg in mein Herz fand, so prekär und zerbrechlich er auch sein mag.

Und so bin ich versöhnt und beglückt nach Hause gegangen. Endgeile Show. Tolles Festival.

Freitag, 1. August 2008

Sucks'n'Summer 2008 - Freitag

Das Line-Up des diesjährigen Sucks'n'Summers verhieß schon im Vorfeld nicht zu viel Gutes. Aber da ich nur wenige Kilometer von Leisnig aufgewachsen bin und dort noch immer das ein oder andere bekannte Gesicht herumgeistert, wollte ich natürlich auch dieses Jahr wieder hin.
Ironisch mag daran vielleicht erscheinen, dass ich dieses Festival das erste Mal gerade in jenem ersten Jahr besuchte, in dem ich nicht mehr in der Gegend ansässig war.

Nachdem für dieses Jahr auch noch Verse abgesagt hatten, war ich wirklich am Grübeln, ob es mir gefallen würde. Viel Metal, viel "Bollo" und nur wenige Highlights.

Überhaupt scheint das Sucks'n'Summer ein gutes Spiegelbild der Hardcore-Szene an sich zu sein. Politik findet nur noch am Rande, an einigen Antifa- und Mob Action-Ständen statt und Konsum und "neue" Szeneidentität prägen das Bild. Zu dieser neuen Identität gehört ein unglaublich stumpfes Selbst-Abfeiern und widerliches Männlichkeitsideal. Straight Edge verkommt zu einem Dogma für Machos, die damit nur noch Stärke, Stolz und Selbstbeweihräucherung verbinden, mehr aber auch nicht. Und die anderen geben es einfach ganz auf und saufen sich die Birne zu, bis sie zu späterer Stunde lauthals rumprollen.

Sinnbildlich für die Organisation auch der Info-Flyer, auf dem zum Melden von braunem Gesocks aufgerufen wird - der allgegenwärtige Sexismus in der Szene wird jedoch nicht einmal thematisiert. Ebenfalls finde ich diese Pseudo-Toleranz total verlogen, nach welcher "food for everyone" angepriesen wird. Das äußert sich in drei Ständen, welche neben veganem Fast-Food auch diverse Tierausbeutungs- und Tiermordprodukte feilbieten. Stellung zu beziehen für Tierrechte wäre wohl zu viel verlangt. Stattdessen wird den Konsument_innen die ganze Palette vorgesetzt und jede strukturelle Verantwortung für falsche Konsumgewohnheiten abgelehnt. Der politische Anspruch endet halt leider bei Anti-Nazismus, der in der Region ja schon beinahe selbstverständlich ist bzw. sein muss, da eine Nicht-Positionierung zu diesem Thema quasi ausgeschlossen ist. Die Konzepte von "Good night white pride" bzw. "Let's fight white pride" nahmen nicht umsonst auch hier ihren Ausgang. Trotzdem natürlich verdammt gut, dass es in der Provinz Menschen gibt, die sich so dezidiert gegen Neo-Nazismus einsetzen.

Aber gehen wir über zur Musik. Morda hatten wir verpasst und kamen zu Coliseum, die zwar Hardcore der cooleren Sorte machen, aber für mich zur Lachnummer wurden, als ich sie zwei Tage später ein weiteres Mal als Vorband von Converge sah. Da meinte der Sänger nur, dass er zwar froh ist, bald wieder in den Staaten zu sein, aber sehr neidisch auf das europäische Krankenversicherungssystem ist. Denn sein Haus, sein Auto und seine Gitarre kann er sich abschminken, wenn er in Amerika Krebs kriegt. Vielleicht sollte er mal ein Lied über die endgeilen europäischen "Wohlfahrts"-Staaten schreiben...


Es ging weiter mit War from a Harlots Mouth, die mit Full Speed Ahead tauschten, weil die "quasi-lokalen" aus Leipzig, im Stau standen. Ironie. WfaHM machen auch ziemlich schicke Musik, die wohl irgendwo zwischen Jazz und Grindcore zu verorten ist, was mir sehr gefiel. Die werd ich mir mal wieder anschauen. Full Speed Ahead, nun endlich eingetroffen, zockte danach auch gleich guten Bollo-Hardcore, der Sparte Make it count. Ist schon Berliner Bezirksnummerngeprolle lächerlich, so setzen FSA mit ihrem Song "0-four-two-seven-seven" dem ganzen die Krone auf und zeigen mit ihrer Ode an ihre Leipzig-Connewitzer Postleitzahl, warum ich sie als "Bollo" verorte. Naja, wenigstens haben sie einen Song namens "Good night white pride" am Start, der zwar textlich auch sehr dünn ist, aber doch den guten Willen zeigt.

Weiter gings mit No Turning Back, die vielleicht auch ein wenig prollig daherkommen mögen, aber die Niederländer wirken wenigstens...hm..."authentisch" wäre das erste Wort, das mir einfällt. Also sie leben Hardcore noch, mitsamt vieler der alten Ideale. Außerdem sind sie live ziemlich gut und kitzeln aus dem Durchschnittshardcore wenigstens noch das bisschen Potenzial heraus, was er her gibt. Deshalb möchte ich sie auch gar nicht schlecht reden, denn fernab meiner persönlichen Vorbehalte machen sie einfach mal Stimmung bei den Hardcore-Kids. Und das ohne Violent Dancing.

Integrity spar ich mir an dieser Stelle großteils. Viel zu wütend bin ich noch immer über die Vorfälle beim Converge-Konzert als sie während einer (einseitig provozierten) Schlägerei einfach weiter spielten ohne sich auch nur einen Dreck darum zu kümmern, was da unten vor sich ging.
Auch sonst ist nix Gutes zu denen zu sagen. Einfallsloser US-Bollo-Scheiß mit harter Metal-Kante. Von mir aus auch Metalcore. Irgendso ein eintöniger Kack halt.

Den Abschluss des Abends auf dem Open-Air-Gelände machten The Bones, die mit ihrem alkohollastigem punkigen Rock'n'Roll da ja mal so gar nicht hinpassen wollten. Waren ganz nett anzuschauen, aber nach ein paar Liedern versumpfte das Ganze auch in Eintönigkeit.

Mittlerweile war es Mitternacht und das AJZ öffnete seine Tore. Der Indoor-Anfang wurde der lokalen Band Commander Control anvertraut, die ihre Sache (wie immer) sehr gut machten. Entsprechend des "Umfelds" machen sie feinen Hochgeschwindigkeits-Old-School-Hardcore, der weder die neumodische Metalscheiße, noch die Bollokacke kennt und stattdessen mit einer wütenden Sängerin politische Inhalte und Hardcore-Lifestyle auf einer einfachen Ebene zu verbinden weiß. Gut so. Schön, dass es so etwas noch gibt.

Weiter ging es mit meinem Highlight des Tages: Something Inside. Ich kannte die vorher gar nicht und bin auch grad ein wenig verwundert darüber, dass die Jungs aus Senftenberg kommen, denn ihre Ansagen waren durchgängig englisch. Naja, seis drum, denn was sie sagten und zockten, war verdammt groß. Kein Wunder bei Youth of Today als Haupteinfluss. Politische Ansagen, u.a. auch zu den zehn Menschen in Österreich, die nur für ihre Tierrechtsarbeit in den Knast gesteckt wurden und vieles was einfach viel zu selten gesagt wird, fiel dann. Respekt.

Da ließ ich mich dann auch nicht zwei Mal bitten und schwitzte mir im Pit die Poren leer. War schon lange nicht mehr am moshen und Circle-Pit-rennen, aber die Freude bei einer inhaltlich und musikalisch sehr coolen Band in Bewegung zu sein, kam sehr schnell zurück. Fein fein.

Danach waren Make it Count aus Berlin an der Reihe. Für mich so ungefähr der Inbegriff stumpfen Bollo-Hardcores. Aber ne Menge Leute wollten sie sehen und rannten auch mit deren Tshirts rum. Nicht zu unrecht möchte ich bei den meisten meinen. Denn wer auf machohafte Selbstbespiegelung steht, kommt da auf seine Kosten. Ich bin nach ein paar Liedern gegangen. War eh durchgeschwitzt und müde und hab sie letztes Jahr schon gesehen. Bin da allerdings auch eher gegangen. Hat wohl Gründe.

Alles in allem ein netter Festivaltag, der leider mit Ausnahme von Something Inside keine Riesen-Highlights bereit hielt.