Früchte des Zorns und Yok 'n' Hell 19.12.2006 im Clash
Meine knappe Stunde Fahrt aus dem tiefen Osten Berlins in den mittlerweile zentralen Süden endete direkt vor den Toren des "Clash", in der Gneisenaustraße. Kreuzberg 61. Drin war schon ein mächtiges Gewühl. Da das Ganze ein Soli-Konzert zugunsten der Obdachlosenzeitung "Querkopf" war, durfte zwischen 3 und 10 Euro Eintritt frei gewählt werden. 5 Euro als guten Kompromiss und das Clash als relativ angenehm empfunden. Die Hausmarke war leider gerade aus, deshalb ein Flensburger und nach kurzer Zeit wurde da die Bühne auch schon von den "Früchten des Zorns" geentert.
Nahezu 500 Leute waren jetzt anwesend. In Anbetracht dieser Zahl erschien mir das Vorhaben der Früchte mehr als waghalsig. Auch Sänger Mogli stand mit seiner Akustikgitarre noch etwas verunsichert herum (seine langen schwarzen Locken und der verträumte Blick passen genauso zur Musik wie Ankes letzte türkise Strähne auf der Glatze). Auch sie hatte bereits ihre Geige angesetzt und wie Drummerin Hannah ihre Position gefunden. Die Früchte bezeichnen sich selbst als "linksradikales Kollektiv", ihre Texte sind mit das Ehrlichste und Emotionalste was ich kenne. Irgendwo zwischen Angst, Verzweiflung, Liebe, der Sehnsucht nach Freiheit und dem Wissen, dass es auch anders sein kann, wenn wir nur fest genug glauben, lieben und kämpfen. Depressiv und hoffnungsvoll. Eine wahnsinnig intensive Mischung. Heute wollen sie unplugged spielen. Immer noch vor den 500 Leuten. Und das Verrückteste: Es funktioniert. Im Hintergrund stören zwar immer noch ein paar Unbelehrbare, aber die intensive Atmosphäre des Lauschens kann dies nicht zerstören. Gleich zu Beginn ein paar ihrer schönsten Lieder. Ankes Geige sorgt für Gänsehaut. Live noch ungleich mehr. Besonders bei "Dicke, unbeseelte Vögel". Daneben noch die Lieder, welche aus dutzenden Kehlen kommen: "Ich weiß wie ich leben will, das macht ihr nicht kaputt".
Den Höhepunkt des Konzerts muss ich eindeutig Moglis Ansage gegen Homophobie beimessen. Wenn er davon erzählt, wie er selbst an "linken" Orten oft ein ungutes Gefühl in der Magengrube verspürt oder von der Diffamierung auf der Straße, von den vielen Menschen, die nicht verstehen wollen, dass man auch anders leben kann,dann lässt das einen schon schwer schlucken.
Das darauf folgende Lied war so ergreifend, dass es mir die Tränen in die Augen trieb. Ich kannte es leider noch nicht und kann auch den Text nur ungenau wiedergeben, aber Zeilen wie "Ich bin ein Junge und ein Mädchen. Ich bin ein Mann und eine Frau." und "irgendwann gehe ich in meinem schönsten Kleid auf die Straße und werde keine Angst mehr haben" (sinngemäß) haben mich tief bewegt. Heftiger noch als dieses sexistische Arschloch schräg vor mir, was mit seinen homophoben Sprüchen mit ein Anlass für ebenjene Angst sein musste, von der Mogli sprach . Wenigstens wurde jener "in seine Schranken verwiesen".
Noch viele wunderschöne Momente sollten folgen. Dies alles in Worte zu fassen, übersteigt wohl meine Möglichkeiten. Diese Stimme und die Geige, dieses Leise, dieses Laute, dieses Verzweifelte, dieses Liebende, dieses Kämpfende. Früchte des Zorns sind einfach einzigartig.
Auf eine ganz andere Weise einzigartig war auch der zweite Teil des Abends.
Nach den Zugaben "In meinem Kopf ist eine Bombe" und dem zweiten Mal "Nach Haus" stürmte der Yok zusammen mit der Hella die Bühne. Sozusagen das lachende Auge. Wenn auch von der Zielsetzung ähnlich, trotzdem total anders. Lebensfreude und "Freiheit satt". Zusammen waren sie bereits bei "Revolte Springen" aktiv und vermutlich war die Hella auch noch in dem ein oder anderen der unzähligen Projekte vom Yok, der eigentlich Jörg heißt, beteiligt. 44 wurde der Herr an diesem Abend. 22 Jahre bereits musikalisch tätig und 20 Jahre in Berlin. Na wenn das kein Grund zum feiern war. Als Quetschenpaua weit über die Grenzen von Punk und autonomer Szene bekannt geworden, ist er doch über all die Jahre "irgendwie" derselbe geblieben (auch wenn er laut Hella gestern sogar ein Ticket für die U-Bahn gekauft hat und auch ansonsten manchmal bloß "im Kopf total solidarisch" ist). Kreativ wie nichts, textlich und wortakrobatisch unerreicht und wer linksradikale, lebensfrohe Texte mit nem Akkordeon unter die Leute bringt, ist sowieso einzigartig. Mit E-Gitarre, Ukulele, Melodika und natürlich Akkordeon bewaffnet, spielten sie sich die Seele aus dem Leib und ihre Zwischenansagen ließen Lachmuskeln bersten. Zwischen debilen Zaubertricks und der ein oder anderen Story blitzte dann auch schon mal eine Coverversion von Oma Hans (es war "der Rasenmäher" ... der Yok sieht dem Jens Rachut übrigens erstaunlich ähnlich) oder Acapella-Songs durch.
Am Ende kamen sie dann noch einmal alle zusammen auf die Bühne und beschlossen einen wahnsinnig tollen Abend, der mir noch lange in Erinnerung bleiben wird.
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