Sonntag, 6. Juni 2010

Schneller Autos Organisation und die Auflösung

Die Schneller Autos Organisation noch ein letztes Mal auf dem Weg durch die Republik zur Wiederauflage ihrer World-LP von 2003. Ein guter Anlass sich die Platte und die Live-Darbietungen einmal genauer anzuschauen. So geschehen am 25.05. im Zoro (Leipzig) und am 28.05. im Schokoladen (Berlin). Und hier.

"Gib mir eine Sprache, die ich sprechen kann" - mit der deutschen ist das ja immer so eine (mindestens) zweischneidige Angelegenheit. Trotz allem gibt es immer noch einige, die mit ihr umgehen können als wäre das nicht nur Strafe. Schneller Autos Organisation haben in vielen ihrer Texte erreicht, die allgegenwärtige Schwere und den Pathos des Deutschen dahin zu stoßen, wo es Sinn macht: lyrisch anspruchsvolle, schonungslose Fetzen, die selten vollständige Bilder, aber zumeist schon so viel zeigen, als dass sie nicht ohne Schauer auf dem Rücken und nem gemurmelten "Scheiß Welt" zu ertragen wären:

Heile Häuser erzählen das weiter:
Die Geschichte von den Narben und den Schlägen ins Gesicht.
Du bist gefallen auf der Treppe. Immer wieder.
In den Jahren mit dem dicken Fell.
Schnitte werden länger, auf den Armen und Geschichten werden bunt.
Von den Stürzen auf der Treppe, dem heißen Wasser
und beim Sport im langen Hemd. Immer wieder.
In den Jahren mit dem dicken Fell.
Das sind zwanzig Jahre dünne Haut.
Und ein paar Worte aus der stummen Zeit.
Oder ist da mehr, was man nicht sehen kann?
Wie bei den Bunkern, die man den Kriegen baut.
Außen dick und innen Angst.


Der Zynismus ist jedoch nicht ungebrochen. Er ätzt zwar wie er kann und doch scheint die Kritik am Bestehenden, die darin vergraben ist, noch zu atmen. Für mich ist der Höhepunkt ein Lied namens "Klarschiff". Eine Abrechnung mit der Verkulturindustrialisierung der Gegenwart, die natürlich auch die deutsche Vergangenheit nicht unberührt lässt. In jener Gesellschaft, welche (der nicht stattgefundenen Aufarbeitung ihres eigenen Zivilisationsbruchs überdrüssig) ekstatisch zu love & peace & Drogen tanzt, braucht es keinen Schlussstrich - die Kontinuitäten kommen gelegen. Die Love Parade als Anlass zum Lied ist austauschbar. Das betont "Unpolitische", das ausgelassene Feiern, das selbstvergessene Konsumieren, es schlägt immer noch und immer wieder schnell um. Im Zweifelsfall sind eigen und fremd immer noch klar definiert. Nicht nur im Osten.



Alte Fragen zum Vergessen
und neue Platten für die Zeit danach.
Von irgendeinem, der den Vorsitz führt
über die Jugend, die noch lachen kann.
Oder wieder gutes Wetter.
Mit neuen Platten das ganze Land
beschallen und beklebt.
Das macht die Narben weg
und alte Melodien, die man nicht tanzen kann.
So sehr man sich bewegt.

Alte Platten von Auschwitz.
Wie die Juden, die es nicht mehr gibt.
Zum Vergessen, viel zu sperrig.
Ein letzter Gruß an die Kultur und Dr. Motte.
Oder ein anderes von den Monstern,
das den Vorsitz führt über
eine Generation - deine Generation - unsere Generation.


Musik ist eben nie einfach unpolitisch, sie hat immer einen Kontext. Auch wenn sie zum kollektiven (Selbst-)Vergessen einlädt.

Auf der Bühne sieht das dann nach Hamburger Schule aus. Adidas-Sneakers und Bügelfaltenhose. Dazu - zumindest in Leipzig - einige fiese Kommentare und viel viel Musik. Die ist irgendwie auch Hamburg, auch wenn das andere Menschen (Hamburger_innen) manchmal bestreiten. Noch ne Spur krachig-schrammlig, aber doch auch mit Melodie am Anfang und später und so richtig schön im Vergleich von Pankzerkroiza Polpotkin (Vorgängerband), der "World" (erstes Album) und der "Noch mehr Hoffnung für noch mehr Menschen" (zweites/letztes Album) zu sehen. Wer da nur Evolution sieht, hat was falsch gemacht.

Die Playlisten fast gleich, war das eingangs zitierte "Ohne mich (aber auch ohne dich)" leider an beiden Abenden erstes Lied und eher ein erweiterter Soundcheck als das überragende Lied, was es auf Silberplatte ist. Meinetwegen unsterblich; die Fahrt durch die kühle Nacht & Provinz; der Soundtrack zum melancholischen Aufbegehren - oder einfach nur top!. Könnte ich ständig auf Repeat hören. Die Sehnsucht des Refrains, der komplette Text, die Musik - eines der ganz wenigen Stücke, die aus gutem Grund nicht mehr aus dem Kopf gehen (und nicht nur stupide Ohrwürmer sind). Ich weiß nicht, ob es wirklich das erste Hören war oder ob ich es unbewusst schon einmal bei einem "Die Charts"-Auftritt gehört habe, aber dit war Zuhause, verdammt nochmal. Jedenfalls, zu schade, dass es das erste Lied war - hätte mehr verdient. Denn später schnellten die Konzerte von der musikalischen Qualität her doch nochmal deutlich in die Höhe.


(...)
noch ein ganzer Gedanke, dann gehen wir
und schmeißen uns in einen neuen Tag.
In eine neue Welt, einen neuen ausgedachten Job.
Ideen fallen vom Himmel
und finden ganz woanders statt.
(...)
Die Sprache tut so, als weiß sie weiter.
Ein Auge tut so, als sei es wach.
Ich les die Meldung in der Zeitung,
und sie sagen: es wird hart.
Und der Kopf tut als denkt er nach.

Gib mir eine Sehnsucht, die man nicht stillen kann.
Gib mir eine Sprache, die ich sprechen kann.
Gib mir einen Unterschied, den ich erkennen kann.
(...)


Hauptsächlich Lieder von der "World" fielen von der Bühne in das mal dichter (Berlin), mal weniger dicht (Leipzig) gedrängte Publikum und dementsprechend auch der Platz zum zucken. Merchandise fast schon weggekauft, Instrumente fast schon kaputt gespielt. Und irgendwann dann halt vorbei. Aber große Platten, große Band. Freu mich es so langsam hinzukriegen, nicht nur Bands nach ihrer Auflösung + "nie wieder Konzerte" erleben zu können. Auch wenn die Lieder erst jetzt so wirklich am rotieren sind, die Konzerte bleiben im Kopf und dem Rest.