Freitag, 24. Oktober 2008

Tesa, Silards, Insuiciety, Who's my saviour, Sugartown Cabaret in der Scharni 38

Ist mittlerweile ja auch schon wieder ewig her. Trotzdem jetzt noch das Review. Vorausschickend sei zu erwähnen, dass dies mal wieder einer jener Abende war, die noch lange nachwirken und Erinnerungen produzieren, deren Bewahrung noch lange Kraft spendet. Also einer von den ganz großen. Auch wenn Tesa aus Riga alles übertrumpfte, so war die Mischung der Bands davor auch ein verdammt guter Ausgangspunkt dafür.

Die Scharni38 kannte ich bisher hauptsächlich vom Schnarup-Thumby, die Kneipe, die ebenfalls darin beheimatet ist und ihren vormals großartig trashigen multisexuellen Parties. Leider sind die jetzt musikalisch hauptsächlich mit Elektro-Kram statt Alltime-Trash und Hits gefüllt. Trotzdem sehr nette Location, in der ich immer wieder gern bin.
Trotz viel zu spät da sein, waren wir zu früh. Aber das ist ja nicht ungewöhnlich.

Den Anfang machten dan irgendwann Sugartown Cabaret. Emocore aus Frankreich und sehr angenehm. Mochte sie auf Anhieb, die Musik ist einfach mindestens genauso gut wie deren Zurschaustellung, alles passte, gelungener Auftakt. Texte kenn ich natürlich keine.

Who's my saviour aus Rostock machten so ne Art Death Metal, der irgendwie aufgesetzt und viel zu lieb und durch völlig deplazierte Knüppelpassage mehrlustig denn bitterböse wirkte.

Insuiciety hab ich ja nun auch schon mehrfach gesehen und fand sie auch an diesem Abend wieder fein, wobei ich teilweise sogar Zugang zu ihrem neuen Material gefunden habe, was metallischer und weniger Sludge als noch das alte (tolle) Zeugs daherkommt.

Die drei ersten Bands habe ich jetzt nur im Schnelldurchlauf vorgestellt, weil sie zwar für einen netten Abend sorgen konnten, aber nie auch nur ansatzweise das hätten ersetzen können, was nun folgte.

Silards ist ein Nebenprojekt von Tesa. Selber Drummer. Ob die beiden anderen auch bei Tesa sind, weiß ich grad nicht. Jedenfalls noch ne Heimorgel und ne Gitarre und komplett instrumental. Und komplett tanzbar. Sehr beschwingt und positiv das Ganze. Ich mochte es sehr, hat dem spät gewordenen Abend wieder neues Leben eingehaucht. War sehr schön, wenn auch noch lange nicht so athmosphärisch wie Tesa.

Ein schlagzeugspielender Kumpel kam den ganzen Auftritt über nicht klar, was der Drummer da hinlegte. Und ich konnte in Ansätzen nachvollziehen was er meinte. Schlagzeugeinlagen übelster Sorte und dazu noch die Vocals - Respekt. Naturtalent, gute Übung, was auch immer, mir egal, aber der war richtig großartig.

Vermutlich war es genau der souverän geführte, extrem abwechslungsreiche Rhythmus, der dazu führte, dass Tesa in Tiefen vordrangen, die ich sonst den wenigsten Bands, die nach Screamo-Art Musik machen, zusprechen würde. Aber vielleicht kenn ich mich in dem Sektor auch nur zu wenig aus. Envy aus Japan ist immer mein schlecht passender Vergleich, der unter Umständen helfen kann, ein wenig der Wirkung Tesas zu erklären, wenn mensch die noch nie gehört hat. Nicht ganz so episch und auch nicht so (wut)ausbruchlastig, dafür mindestens ebenso in sich ruhend und alles in sich aufnehmend. Musik, die zum versinken einlädt. Die Lieder gingen entweder ineinander über oder waren kaum zu trennen. Keine Ansagen. Augen zu und reingelegt. Abschweifende Gedanken und Bilder glücklicher Tage im Kopf, flossen die Ströme der Erinnerung im Verlauf der Melodien vor sich hin und wuchsen mit der Intensität der Musik.

Ihre Myspace-Seite nennt unter anderem als Einflüsse Isis, Converge und Sigur Ros woran schon zu sehen ist wie weit gefasst das Spektrum und wie tief die Abgründe sind, welche Musik mit diesen Eckpfeilern beinhaltet.

Wie lange sie gespielt haben, kann ich im Nachhinein kaum sagen, auch nicht was und wie und so weiter. Weil es empfindungsmäßig in einer anderen Realität angesiedelt war. Eine, in der es nicht ums aufnehmen und realisieren, sondern ums verschmelzen und sich Verlieren geht. Und genau das ist passiert. Fühl mich grad als würde ich über Trance oder irgendwelche andere Elektro-Mucke schreiben, aber vielleicht sind die Erfahrungen auch gar nicht so unterschiedlich. Nur, dass sie zu mehreren Zugaben gezwungen wurden und dass das bei ner Band wie Tesa heißt, dass sie mal eben ne halbe bis dreiviertel Stunde länger spielen müssen. Die Armen waren am Ende total erschöpft und es war auch schon halb fünf oder so.

"Mal wieder" (hehe) eines dieser bewusstseinserweiternden Konzerte und obwohl ich Tesa schon einmal gesehen habe, fand ich sie diesmal noch beeindruckender und tiefergehender.

Glatte Fünf von Fünf für den Abend.

Sonntag, 5. Oktober 2008

Fliehende Stürme & Die Angst in der Chemiefabrik Dresden

+++Vorbemerkung: Nach Verfassen des Reviews wurden mir äußerst beunruhigende Infos (danke an killerblau dafür!) über den politischen Charakter der Vorband zuteil. Aus Faulheit ergänze ich einfach nur den Absatz, der von ihnen handelt.+++


Manchmal ist Timing einfach alles. Manchmal sind solche Sprüche aber auch der absolute Schwachsinn - wie so vieles.
Jedenfalls hat mich der Berlin-Koller diesmal im exakt richtigen Moment getroffen - nämlich erst kurz vor der Abreise Richtung Dresden. Klappt halt doch. Manchmal.

Der Grund Hauptstadt gegen Landeshauptstadt zu tauschen war offensichtlich ein gewichtiger. Fliehende Stürme. Das letzte Mal in der "alten" Besetzung - also jene, die ich live seit meinem ersten Stürme-Konzert gewohnt bin. Spät geboren halt.

Dank Deutscher Bahn endete die Fahrt vorerst in Coswig. Ostdeutsche Provinzbahnhöfe sind doch das Coolste. "Sie haben noch Anschluss an Oberlippenbartensemble und Intoleranz mit erhöhter Wahrscheinlichkeit neonazistischer Übergriffsszenarien". Vielen Dank Lügen-Schaffnerin, nix mit S1 nach Schöna. Nach dem ersten Grummeln jedoch eine hauptstadtarrogante Überraschung - nur eine halbe Stunde bis zur nächsten S-Bahn. Hammer. Mensch rechnet ja immer mit dem Schlimmsten außerhalb des Berliner S-Bahn-Ringes, hehe.

Jedenfalls kurz darauf in der Dresdener Neustadt aufgeschlagen und gerstensaftversorgt ab in die Chemiefabrik. Sehr netter Laden und gleich für perfekte Ausgangsbedingungen gesorgt. Sternburg Export im Thekensortiment, dazu Stürme und Die Angst, das gabs doch schon mal...damals in Potsdam. Und, wie sollte es anders kommen, wurde auch dieses eines der schöneren bis schönsten Stürme-Konzerte.Allerdings mit einem bitteren Nachgeschmack...

Die Angst. Ja, der Name passt, denn nachdem ich jetzt weiß, was mit denen geht, bekomme ich es doch auch ein wenig mit der Angst zu tun. Einer von denen spielt auch bei Sonne Hagal und die hängen in dieser ganzen Neofolk-Nazikacke tief mit drin. Ausführlicheres gibts beim Ex-Die Angst-Label:
Thought Crime Records

Da schreib ich was über Neo-Nazis in der Provinz und schau mir selber einen auf der Bühne samt Band, die sich dazu nicht äußern will, an. Zum kotzen.

Schon erstaunlich, dass das so wenig bekannt ist. Denn auch wenn ich die Chemiefabrik nicht kenne, so wirkte sie auf mich doch wie ein liebenswürdiger Rückzugsort linker Subkultur(en). Und wissentlich hätten die so einen Gig sicherlich nicht durchgehen lassen. Krasse Scheiße jedenfalls. Den Rest, den ich über die Angst schrieb, lösch ich raus. Mich würde nur interessieren, wovon eines ihrer Lied handelte, in dessen Refrain "Auschwitz" und "Bergen-Belsen" fielen. Mehr war nämlich für mich nicht zu verstehen und nach diesen Erkenntnissen wirkt das doch mehr als zynisch alles...und es zeigt, dass der Grat zwischen "dunkler" Musik und religiösen/ rassistischen/faschistischen Ideologien unglaublich schmal ist. Unpolitisch gibts halt doch nicht. Gerade vor diesem Hintergrund finde ich es gut, dass Fliehende Stürme auf ihrem neuen Album wieder deutlichere Worte finden, die an die guten alten Chaos Z-Tage zurückdenken lassen:

Hör nicht hin/ Nur noch Wut/ Es ist falsch/ Leerer Raum/ Immer das Gleiche/ Schon gelebt/ Keine Heimat/ Nicht existiert (Fliehende Stürme - Ex-ist)

oder halt die klassische Absage an Deutschland und den ganzen dazugehörigen Dreck:
"Ich glaube nicht an dich/ Ich spucke dir ins Gesicht/ Und mich, mich kriegst du nicht" (Chaos Z - Krass)

Aber, da ich das ja wie gesagt das alles erst hinterher erfuhr, ging der Abend unbetrübt und gutgelaunt weiter:

Und die Stürme. Dürfte mein neuntes Konzert mit ihnen gewesen sein. Sehr beruhigend zu wissen, welche Auswirkungen ein Stürme-Konzert haben kann und wird. Die entnervenden Tage und Wochen vorher mit sternburgbelasteter Stürme-Athmosphäre weggespült - einfach eine perfekte Entgiftungs- und Entrümpelungskur gegen Berge aus kontaminiertem Gedankenmaterial. Und mit der Gewissheit, dass das passieren wird, lebt sichs doch gleich viel freier.

Jedenfalls waren mal wieder all die essentiellen Bestandteile eines Stürme-Konzertes vertreten und auch die zusätzlichen Liedelchen trafen meinen Geschmack. Von "das Chaos brütet" über "Alles Falsch", "An den Ufern" und "Tag der Armut" bis hin zu "Die aus dem Schatten springen" und "Killerblau" riss jedes Lied tiefere Furchen in die Kehle, welche von der ersten bis zur letzten Zeile jedes Lied der Bühnen-Klangwand entgegenschleuderte.

Leerschreien. Was für ein befreiendes Gefühl.
Erstaunlich, dass ich danach kein bisschen heiser war.

Auch von den neuen Sachen wurde viel gespielt. "Lunaire" und "Bakterien", aber auch "Erinnerung", "Kind" und so weiter. Die Mischung hat gestimmt - weil sie einfach ganz viel gespielt haben. Sie konnten sich zwar nur zu zwei Zugaben überreden lassen, aber das hat schon gepasst, denn die wichtigsten Lieder fielen ja bereits.

Was mir mal wieder besonders positiv auffiel ist die beinahe Unsichtbarkeit der Band. Sie kommen auf die Bühne, wünschen einen guten Abend, trinken ihre Biere, rauchen ihre Zigaretten, sagen wie das nächste Lied heißt und spielen es runter. Irgendwann wünschen sie eine Gute Nacht und "kommt gut nach Hause" und das wars dann.

Keine bescheuerten Ansagen, keine unnötige Selbstdarstellung, keine "Choreographie". Einfach nur Fliehende Stürme. Texte und Musik reichen aus, um alles zu (er)klären.
Mehr bedarf es nicht.

Das beeindruckte mich schon beim ersten Mal. Und das wird es noch oft tun. Auch wenn es mittlerweile dank Routine nicht mehr dasselbe ist, wie vielleicht das erste oder zweite Mal - so bleiben es doch immer wundervolle Momente der Weltentbundenheit, um nicht zu sagen Freiheit. Oder noch pathetischer: Dunkelfreiheit. Ja, vermutlich relativ genau so:

"Ich will durch die Zeiten wüten - nichts tun, was mir nicht gefällt
Whiskey trinken in der Hölle - Stimmung ist so killerblau

Drück mich kräftig doch halt mich nicht zurück
Drück mich kräftig - ich suche das Glück"

Freitag, 3. Oktober 2008

03.10. Kafkas, Culm und Grizou im Lokal (Berlin)

Der Tag der deutschen Einheit ist ja tendenziell eher ein Tag für Grummelstimmung zwischen patriotischen Radiomoderationen und Festlichkeiten für keine Ahnung wen. Aber mit einer Dauerschleife "Deutschland has gotta die" von Atari Teenage Riot und der Gewissheit, dass es am Abend noch ein schickes Konzert geben wird, können darüber hinwegtrösten, dass es einfach ein Scheißtag ist.

Am meisten hab ich mich merkwürdigerweise nicht auf die Hauptband gefreut, nein, vielmehr wollte ich endlich Grizou (aus Berlin) wieder sehen. Zwei Mal sah ich sie in der Vergangenheit bereits als Vorband. Einmal von The Devil in Miss Jones und einmal von den Boxhamsters. Letztere spielten sie locker unter den Tisch und auch wenn ich die Aufnahmen, die ich von Grizou habe (also das Gratiszeug ausm Netz), eher mäßig bis ganz gut finde, sind sie live doch mehr als lohnenswert (weil schneller und härter!).

Sie machen einen Stil, den es viel zu selten gibt. Musikalisch im Deutschpunk verwurzelt, aber trotzdem an den Instrumenten fit, schöne Melodien, verbunden mit einem Gesang, der beste Screamo-Qualitäten aufweist und schon gibt das ne schicke Mischung. Weiß gar nicht, was ich großartig dazu schreiben soll außer, dass sie mich wieder einmal ziemlich begeistert haben. Die neuen Sachen (wie neu sie auch immer sind), klingen teilweise richtig gut - am meisten hat mich jedoch gefreut, dass sie ihr Konzert mit meinem Liebling "Das Leben ist schön" beschlossen.

Danach waren "Culm" (aus Rheine) an der Reihe. Die gaben ihr letztes Konzert und bezeichnend war wohl, dass es in Berlin als Vorband der Kafkas und nicht in ihrer Gegend als IHR Abschiedskonzert stattfand. Dementsprechend war auch die Musik. Ganz nett, aber irgendwie doch nur Schublade Indie-Rock (und nicht "Post-Core" wie auf den Plakaten) und ohne Zugabe von der Bühne. Blass und schnell vergessen. Auch wenn es fies ist, so etwas über ein Abschiedskonzert zu schreiben und natürlich nur das ist, was ich empfunden habe.
Ich hoffe ehrlich, dass es anderen Menschen anders erging. Sonst wärs wirklich fies.

Und dann auch "schon" die Kafkas, war ja erst mitten in der Nacht, weil das Konzert so spät begann. Jedenfalls, Kafkas. Hab ich in meiner Teenie-Deutschpunk-Zeit relativ oft gehört. Also das Album "Privilegienthron". Mit mehr hatte ich damals nicht viel zu tun - den Rest erst später beiläufig entdeckt. Und fürn Fünfer sieht mensch doch gern mal so ein Stück Jugend. Am Treffendsten für diesen Auftritt ist vielleicht der Begriff "schräg".

Zwischen reich verteilten Pöbeleien des Sängers an seine Mitmusizierenden und der Feststellung, "dass ihr das geilste Publikum seid, dass wir je hatten - danke Hamburg!" gabs auch Musik. Die war laut und bei den Liedern, die ich kannte auch sehr schön - weil mitsingen können und so. Die neuen Elektropunk-Tracks kamen vom MP3-Player, der nicht so recht wollte, und irgendwo auf dem Boden kurz vorm Drauftreten lag. Die gerissene Saite sorgte für minutenlange Kleinkunstaction. Die Einlage einer Zuschauenden mit so nem Karnevals-Song von wegen totem Mops oder so, war nur beim ersten Mal lustig - beim zweiten Mal eher anstrengend. Auch die Einbindung einer Pöbelecke eher nervig - denn Menschen, die sexistische Beleidigungen von sich geben, brauchen meines Erachtens nach, nicht noch extra Bühne und Aufmerksamkeit zu erhalten.
Gab aber auch schön Vegan- und Tierrechtspropaganda und so soll das doch auch sein. Wenigstens ein steckenpferdiger Anfang, um die p.c.-Ehre zu retten.

Die Songauswahl hat im Endeffekt auch ganz gut gepasst, auch wenn ich weniger kannte als angenommen. Aber gibt ja auch bald ein neues Album. Sehr gefreut hab ich mich über "Lebensrezeptur".

Skurril und teilweise beinahe schon absurdes Theater, aber ein schöner Gig.
Und ein schöner Abend.