+++Vorbemerkung: Nach Verfassen des Reviews wurden mir äußerst beunruhigende Infos (danke an killerblau dafür!) über den politischen Charakter der Vorband zuteil. Aus Faulheit ergänze ich einfach nur den Absatz, der von ihnen handelt.+++
Manchmal ist Timing einfach alles. Manchmal sind solche Sprüche aber auch der absolute Schwachsinn - wie so vieles.
Jedenfalls hat mich der Berlin-Koller diesmal im exakt richtigen Moment getroffen - nämlich erst kurz vor der Abreise Richtung Dresden. Klappt halt doch. Manchmal.
Der Grund Hauptstadt gegen Landeshauptstadt zu tauschen war offensichtlich ein gewichtiger. Fliehende Stürme. Das letzte Mal in der "alten" Besetzung - also jene, die ich live seit meinem ersten Stürme-Konzert gewohnt bin. Spät geboren halt.
Dank Deutscher Bahn endete die Fahrt vorerst in Coswig. Ostdeutsche Provinzbahnhöfe sind doch das Coolste. "Sie haben noch Anschluss an Oberlippenbartensemble und Intoleranz mit erhöhter Wahrscheinlichkeit neonazistischer Übergriffsszenarien". Vielen Dank Lügen-Schaffnerin, nix mit S1 nach Schöna. Nach dem ersten Grummeln jedoch eine hauptstadtarrogante Überraschung - nur eine halbe Stunde bis zur nächsten S-Bahn. Hammer. Mensch rechnet ja immer mit dem Schlimmsten außerhalb des Berliner S-Bahn-Ringes, hehe.
Jedenfalls kurz darauf in der Dresdener Neustadt aufgeschlagen und gerstensaftversorgt ab in die Chemiefabrik. Sehr netter Laden und gleich für perfekte Ausgangsbedingungen gesorgt. Sternburg Export im Thekensortiment, dazu Stürme und Die Angst, das gabs doch schon mal...damals in Potsdam. Und, wie sollte es anders kommen, wurde auch dieses eines der schöneren bis schönsten Stürme-Konzerte.Allerdings mit einem bitteren Nachgeschmack...
Die Angst. Ja, der Name passt, denn nachdem ich jetzt weiß, was mit denen geht, bekomme ich es doch auch ein wenig mit der Angst zu tun. Einer von denen spielt auch bei Sonne Hagal und die hängen in dieser ganzen Neofolk-Nazikacke tief mit drin. Ausführlicheres gibts beim Ex-Die Angst-Label: Thought Crime Records
Da schreib ich was über Neo-Nazis in der Provinz und schau mir selber einen auf der Bühne samt Band, die sich dazu nicht äußern will, an. Zum kotzen.
Schon erstaunlich, dass das so wenig bekannt ist. Denn auch wenn ich die Chemiefabrik nicht kenne, so wirkte sie auf mich doch wie ein liebenswürdiger Rückzugsort linker Subkultur(en). Und wissentlich hätten die so einen Gig sicherlich nicht durchgehen lassen. Krasse Scheiße jedenfalls. Den Rest, den ich über die Angst schrieb, lösch ich raus. Mich würde nur interessieren, wovon eines ihrer Lied handelte, in dessen Refrain "Auschwitz" und "Bergen-Belsen" fielen. Mehr war nämlich für mich nicht zu verstehen und nach diesen Erkenntnissen wirkt das doch mehr als zynisch alles...und es zeigt, dass der Grat zwischen "dunkler" Musik und religiösen/ rassistischen/faschistischen Ideologien unglaublich schmal ist. Unpolitisch gibts halt doch nicht. Gerade vor diesem Hintergrund finde ich es gut, dass Fliehende Stürme auf ihrem neuen Album wieder deutlichere Worte finden, die an die guten alten Chaos Z-Tage zurückdenken lassen:
Hör nicht hin/ Nur noch Wut/ Es ist falsch/ Leerer Raum/ Immer das Gleiche/ Schon gelebt/ Keine Heimat/ Nicht existiert (Fliehende Stürme - Ex-ist)
oder halt die klassische Absage an Deutschland und den ganzen dazugehörigen Dreck:
"Ich glaube nicht an dich/ Ich spucke dir ins Gesicht/ Und mich, mich kriegst du nicht" (Chaos Z - Krass)
Aber, da ich das ja wie gesagt das alles erst hinterher erfuhr, ging der Abend unbetrübt und gutgelaunt weiter:
Und die Stürme. Dürfte mein neuntes Konzert mit ihnen gewesen sein. Sehr beruhigend zu wissen, welche Auswirkungen ein Stürme-Konzert haben kann und wird. Die entnervenden Tage und Wochen vorher mit sternburgbelasteter Stürme-Athmosphäre weggespült - einfach eine perfekte Entgiftungs- und Entrümpelungskur gegen Berge aus kontaminiertem Gedankenmaterial. Und mit der Gewissheit, dass das passieren wird, lebt sichs doch gleich viel freier.
Jedenfalls waren mal wieder all die essentiellen Bestandteile eines Stürme-Konzertes vertreten und auch die zusätzlichen Liedelchen trafen meinen Geschmack. Von "das Chaos brütet" über "Alles Falsch", "An den Ufern" und "Tag der Armut" bis hin zu "Die aus dem Schatten springen" und "Killerblau" riss jedes Lied tiefere Furchen in die Kehle, welche von der ersten bis zur letzten Zeile jedes Lied der Bühnen-Klangwand entgegenschleuderte.
Leerschreien. Was für ein befreiendes Gefühl.
Erstaunlich, dass ich danach kein bisschen heiser war.
Auch von den neuen Sachen wurde viel gespielt. "Lunaire" und "Bakterien", aber auch "Erinnerung", "Kind" und so weiter. Die Mischung hat gestimmt - weil sie einfach ganz viel gespielt haben. Sie konnten sich zwar nur zu zwei Zugaben überreden lassen, aber das hat schon gepasst, denn die wichtigsten Lieder fielen ja bereits.
Was mir mal wieder besonders positiv auffiel ist die beinahe Unsichtbarkeit der Band. Sie kommen auf die Bühne, wünschen einen guten Abend, trinken ihre Biere, rauchen ihre Zigaretten, sagen wie das nächste Lied heißt und spielen es runter. Irgendwann wünschen sie eine Gute Nacht und "kommt gut nach Hause" und das wars dann.
Keine bescheuerten Ansagen, keine unnötige Selbstdarstellung, keine "Choreographie". Einfach nur Fliehende Stürme. Texte und Musik reichen aus, um alles zu (er)klären.
Mehr bedarf es nicht.
Das beeindruckte mich schon beim ersten Mal. Und das wird es noch oft tun. Auch wenn es mittlerweile dank Routine nicht mehr dasselbe ist, wie vielleicht das erste oder zweite Mal - so bleiben es doch immer wundervolle Momente der Weltentbundenheit, um nicht zu sagen Freiheit. Oder noch pathetischer: Dunkelfreiheit. Ja, vermutlich relativ genau so:
"Ich will durch die Zeiten wüten - nichts tun, was mir nicht gefällt
Whiskey trinken in der Hölle - Stimmung ist so killerblau
Drück mich kräftig doch halt mich nicht zurück
Drück mich kräftig - ich suche das Glück"
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3 Kommentare:
Hoppla, Die Angst?
Lies mal das über Die Angst bei Thought Crime Records.
Du hast darüber in einem Buch gelesen, Du hast es im Fernsehen gesehen.
Für dich ist es ein Albtraum, aber einige träumen davon.
Sie haben ihre Hakenkreuze hinterm Unionjack versteckt.
Passt auf Brüder- sie versuchen ein Comeback.
Erinnert euch an Belsen und Auschwitz- sie versuchen zu behaupten, dass es das nie gegeben hat.
Lasst nicht zu, dass sie dieses Land in Ketten legen, lasst nicht zu, dass sechs Millionen umsonst gestorben sind!
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