Samstag, 12. April 2008

Komm ma lecker unten bei mich bei...

Eisenpimmel, Fahnenflucht, Rasta Knast, Chefdenker im Beatclub Dessau

Um jede Einleitung verlegen, beginne ich einfach mal mit der Schilderung der Ereignisse.
Was kann Studierende, arbeitsscheue Hartzis und gut verdienende Punks dazu bringen, sich in ein enges Auto zu quetschen, nach Sachsen-Anhalt ("Wir stehen früher auf" - ich sag nur, selber schuld...) zu fahren und dort der marodierenden Stadtjugend beim Untergang zuzuschauen?

Richtig: Eisenpimmel.

Ich konnte mir dieses Phänomen nie erklären und kann es auch jetzt noch nicht. Eisenpimmel findest du entweder bodenlos bekloppt und übergibst dich bei ihren Liedern vor Ekel oder du findest sie zum Brüllen komisch und übergibst dich, weil du mal wieder zu viel gesoffen hast. Dabei ist es scheinbar auch völlig egal, welchen politischen oder weltanschaulichen Hintergrund die Menschen haben...aber dazu werd ich später noch kommen.

Pöbel & Jesocks einjesackt und in Berlin losjeheetzt...nein, lieber auf deutsch.
Schnell noch zu Reichelt und die Linien zwischen konservativ und wagemutig am Bierkauf festgemacht (gutes, altbewährtes Sterni contra Reichelt-Pilsener...erstaunlicherweise waren alle mit ihren Entscheidungen zufrieden und der Kasten in Dessau alle).

In Dessau ewig rumgegurkt und das Grauen bekommen vor der Jugend dort, die in Scharen samstagabends um Neun auf dem Netto-Parkplatz abhängt und selbst am und im Beatclub die obskursten, angsteinflößenden Menschen. Als da wären Skins mit Stiefeln und weißen Schnürsenkeln, geschniegelte Hemdenträger mit Seitenscheitel, Brille und eben denselben weißgeschnürsenkelten Tiermordprodukten (da tut mir die Kuh ja gleich doppelt leid wegen so nem Möchtegern-NPD-Kader look-a-like gestorben zu sein), dazu "Haare schneiden tut nicht weh"-Shirts und da ganze Arsenal an dörfischer Stumpfheit. Ich hatte schon fast vergessen, dass auf dem Dorf selbst die selbst erklärten Anti-Nazis noch lange keine
Antifaschist_innen sind...

Das unverschämt teure Bier ließ uns fast verdursten, bis - heldenmutig wie immer - unser Fahrer Nachschub von der Tanke organisierte. Los gings eh noch nicht. Reservierungen wurden einfach mal ignoriert, weil eh nur eine Hand voll Leute in Dessau zu den Bands wollten (oder es vielleicht irgendwelche innerstädtischen Konflikte gibt, in die ich keinen Einblick hab...), überhaupt war das ein ganz schöner Kommerz-Tempel mit grimmigen Securities, Ganzkörperkontrollen und - den schon erwähnten - astronomischen Bierpreisen.

Jedenfalls bespaßten als Erste Chefdenker das überschaubare Publikum und das nicht zu enthusiastisch. Der Sänger sah ziemlich fertig aus, keine Ahnung, was ihm fehlte oder was der genommen hatte. Da sich einige von uns sehr auf die gefreut hatten, gab es erstmal hängende Köpfe, nur bei "Filmriss" und "Ich hab mir Fuck off auf den Arsch tätowiert" konnte ich es mir nicht nehmen lassen, mal ein wenig im spärlichen Pogo rumzuhüpfen und mitzugröhlen. Hach ja, da werden Erinnerungen an die Deutsch-Punk-Vergangenheit wach. Chefdenker hab ich auch schon mal auf dem Force Attack 2006 gesehen. Da waren sie allerdings deutlich lustiger, motivierter und - vielleicht lag es auch nur an der Entfernung zur Bühne - jugendlicher. Was zwei Jahre ausmachen können. Routiniert runtergespielt und abgehauen. Das wars.

Wir hatten uns im Vorfeld schon so unsere Gedanken gemacht, wie denn wohl die Running-Order sein dürfte. Wir haben uns ausnahmslos alle getäuscht. Denn schon nach Chefdenker "enterten" Eisenpimmel die Bühne und waren nicht nur verdammt großartig, sondern lieferten auch viel Diskussionsstoff. Während des Auftrittes erst einmal Desillusion - "Oh Mann, die sind ja wirklich so Assi, wie die klingen" - "Da ist ja kein bisschen Ironie dabei" und so weiter und so fort. Aber am nächsten Nachmittag änderte sich die allgemeine Meinung schlagartig und plötzlich wurden all die kleinen Details offensichtlich. Siggi Kotlewski (schreibt er sich so?), Sänger und selbstbekennender Assi, kam mit Kasten und Klappstuhl auf die Bühne, nicht zum singen, sondern zum sitzen und saufen. Doch der halbvolle Kasten wurde während des Auftrittes nicht leerer und viele der "asozialen" Elemente können auch einstudiert sein - so ist sein Gesang die ganze Zeit recht verständlich, aber am Ende eines jeden Liedes muss er noch irgendwelche Geräusche von sich geben...die Jeans-Jacke, die er trug, komplettierte die Inszenierung, hinten drauf "Duisburg Super Rock", vorne drauf mit Edding "ficken" und irgendwelche schlechten Patches und Buttons.
Bärbel, die "Sängerin" bzw. pöbelnde Stimme im Hintergrund, mit dicker Federboa unterwegs, der Rest der Band, relativ bieder.

...und sie spielten alles. Auch wenn das Publikum nur in Bruchteilen unserer Euphorie folgen konnten, aber von "Komm ma lecker unten bei mich bei", "Schwarzfahren und saufen", "Dicke Eier - Weihnachtsfeier" bis zu den absoluten Gassenhauern "Malle Mallorca" und natürlich "Duisburg ist spitze" war alles vertreten.

Mir haben Sie außerordentlich viel Freude gemacht - ob nun authentisch oder nicht, ich glaub das ist weder restlos ergründbar, noch so leicht zu trennen. Die Antwort wird wohl irgendwo dazwischen liegen.

Herausragend auch "Ich Arsch hab mir Fleisch gekauft", wobei unsere kleine Vegan-Front wohl am Lautesten "Schinken, Mett, Schnitzel und Kotelett" gegröhlt haben dürfte...nicht auszudenken, wenn ich dieses Lied ernst nehmen müsste...aber solange die Formel trash as trash can aufgeht und politische Korrektheit weiterhin ein so willfähriges Opfer abgibt, werde auch ich Eisenpimmel (und die Kassierer als deren Brüder im Geiste) wohl nicht das letzte Mal begröhlt haben.

Danach sollten Rasta Knast spielen. Da aber die ersten drei Lieder total gleich klangen, wurde dem Bier im Kofferraum Vorzug gegeben. Vermutlich nicht die schlechteste Entscheidung.

Den Headliner gaben Fahnenflucht und als die ersten leisen Anti-Nazi-Ansagen so die Runde machten, waren einige der zweifelhafteren Gestalten plötzlich verschwunden. Was'n Zufall.
Fahnenflucht wirken auf mich immer ein wenig steif, alles einen Hauch zu routiniert. Aber das muss ja kein Nachteil sein. Denn sie zogen ihr Programm mehr als souverän durch. Keine Hänger, keine Langatmigkeit. Die Einstudiertheit hat auch so ihre Vorteile und so kommt mir bei denen ja schon fast ein "grundsolide" über die Lippen, wüsste ich nicht, dass dieses Wort den funktionierenden Elementen der Gesellschaft mit all ihren perversen Ausdrücken von Norm vorbehalten ist.
Also guter, lieber Punkrock mit viel Melodie und Texten, die zumindest angenehm sind und klar Stellung beziehen - auch bei den Ansagen. Da das ja leider keine Selbstverständlichkeit in der Ecke ist, will ich mit ihnen auch gar nicht zu hart ins Gericht gehen. Ist persönlich nicht so mein Highlight gewesen, aber gut sind sie auf alle Fälle und für einen versöhnlichen Abschluss des Abends haben sie auch gesorgt.

Aufgewacht dann erst wieder in Berlin und den Ausflug in den wilden Osten nicht bereut. Auch wenn die nächsten Tage von Reflexionen über "links"-Sein in provinziellen Kontexten reserviert waren...

Freitag, 4. April 2008

Die Kleingeldprinzessin und die Stadtpiraten

Ein kräftiger Schluck aus der dunkelbraunen Flasche mit dem Sternburg-Export-Emblem, dessen Inhalt das Sinnbild des Abends werden sollte. Schal, ungewohnt bitter und vermutlich über dem Verfallsdatum, doch zu bekannt und wohl nur eine einzelne Geschmacksverirrung - nichts was die Verbundenheit so leicht ausmerzen könnte. Das nächste Mal wird es halt besser.
Ja, das wäre ein schönes Bild, doch es ist mehr ein Wunsch, denn Realität. Nicht für das Bier, aber für das Konzert. Und die folgenden.
Viele Schritte waren schon in der lauen Kreuzberger Nacht verklungen, bis meine Begleiterin das Schweigen brach: "Wir haben unsere Kleingeldprinzessin verloren". Ich stimmte ihr ohne Zögern zu.

Das Lido, unweit vom Schlesischen Tor, ließ durch mangelndes Organisationsgeschick bereits im Vorfeld jede Vorfreude von der Skala stürzen. Kurz vor offiziellem Konzertbeginn zog sich eine lange Schlange von Wartenden durch die Straßen. Karteninhaber_innen durften sich darin auch einreihen, bis andertalb Stunden nach Einlassbeginn endlich auch wirklich Menschen hineingelassen wurden - bevorzugt jene mit Tickets. Zum Glück trieb mich mein Bauchgefühl zwei Tage vorher in den Ticket-Shop, allerdings kann ich mich mit so einem Diskotheken-Stil überhaupt nicht anfreunden. Security-Monster, lange Warteschlangen, Menschenmassen - und die Art der Zusammensetzung des Publikums, nein, das war nicht meine Welt. War ich die vergangenen Wochen und Monate fast nur auf subkulturellen HC- und Punkkonzerten unterwegs, wurde mir schnell wieder bewusst, warum das so war. Linksliberales, bürgerliches Gutmenschentum zwischen 20 und 30, welches schön am Geisteswissenschaften studieren ist und zwischen parteigebundenem hochschulpolitischem Engagement, Greenpeace-Solidarität und Fair-Trade-Kaffee eine bessere Welt herbeihalluziniert für die sie alle nicht im Geringsten bereit sind, den Preis zu zahlen. Das beste Beispiel mag wohl Dotas "Immer die Andern" gegeben haben. Jene, die am Lautesten mitgeschrieen haben, werden wohl selbst dem beschriebenen Verhalten folgen. Ich schwieg. Auch weil ich wusste, dass ihr Lied nicht nur das von mir angefeindete Restpublikum trifft - auch wenn ich meine, dass ich schon etwas weiter als jene sein mag.

Wie dem auch sei. Die Dota, die war so wie immer. Es war sehr hübsch anzuschauen, was sie da fabriziert hat, aber es waren auch die selben Ansagen wie jedes Mal. Diesmal ein wenig abgewandelt, da es die neue Tour war.

Was mich an ihren Konzerten und Liedern immer so unglaublich ins Schwärmen bringt, sind ihre Texte. Sie geht so unglaublich virtuos mit der deutschen Sprache um, wie kein_e Zweite_r. Es ist einfach atemberaubend, wie sie Worte kreiert und aneinanderreiht und Bilder erschafft, die nicht nur zauberhaft und originär, sondern auch plastisch und nachfühlbar sind. Sie ist eine wahrhafte Künstlerin. Umso bedauerlicher, dass ihr Klientel immer mainstreamiger wird. Umso bedauerlicher, dass diese Tendenz in ihren Liedern auch ebenso angelegt ist.

Dass auch ihre neuen Lieder - die anlässlich der Record-Release-Show - auch wieder den hohen Standards entsprechen, ändert nichts daran, dass sie in meinen Ohren eine Nuance kälter klingen. Sie sind schön - keine Frage - aber nicht so schön, als dass ich mir die CD hätte kaufen wollen. Nein, irgendwie ist es nicht mehr dasselbe.

Und das eine Lied, welches ich vorm Einschlafen und nach dem Aufwachen im Kopf hörte, ist laut ihrer Aussage nicht mal auf der CD enthalten und noch nicht mal aufgenommen. Schade, denn es war wirklich wunderschön. Und einer der wenigen Gründe ihr noch immer die Treue zu halten.

Die Lieder gingen ins Land und irgendwann kam dann auch schon "öffentlicher Nahverkehr" als Zugabe und Dota und die Stadtpiraten waren hinter der Bühne verschwunden.
Alles in allem ein wirklich miserabler Abend.
Ich hoffe mein Bild wird irgendwann einmal wieder positiver.