7.3.2008 The Dillinger Escape Plan + Poison the Well + Stolen Babies im Kato Berlin
Vielleicht sollten das nächste Mal die Tickets mit Warnhinweisen versehen werden a la "Achtung: kann epileptische Anfälle verursachen" oder "kann zu dauerhafter Schädigung des zentralen Nervensystems führen" - zumindest kann ich mich nur noch bruchstückhaft an den Auftritt von The Dillinger Escape Plan erinnern und erst so langsam kommen die Erinnerungen wieder. Was ich von dem Konzert halten sollte, weiß ich trotzdem noch nicht so genau. Zumindest weiß ich aber nun, dass der Titel „The Best Live Band on the Planet", den ihnen die Zeitschrift Kerrang! gab, keine Übertreibung ist...
Aber von vorn. Dank mieser Organisation waren bei unserem Eintreffen die Stolen Babies bereits mit ihrem Set durch und bauten gerade ab, dabei war es erst kurz nach Neun. Ich hab es glaub ich noch nie erlebt, dass ein Konzert, bei welchem dies nicht ausdrücklich gesagt wurde (und selbst da kaum), zu früh oder pünktlich beginnt. Sehr obskur und so kann ich von denen nur sagen, dass sie sehr schicke Kostüme tragen...
Danach waren dann irgendwann Poison the Well dran. Hatte die immer eher in die Emocore-Ecke gesteckt, aber auf dem Konzert zeigten sie, wie toll sie doch Metal und Bollo-Hardcore kombinieren können. Dementsprechend war auch das Publikum drauf und auch wenn sie nicht wirklich schlecht waren, hat mich das Ganze ermüdet und angeekelt. Das kommt dabei raus, wenn mensch Hardcore/Metalcore auf Grund seiner Härte hört und damit keinerlei politische Grundpositionen bzw. Weltanschauungen verbindet. Schlägereien im Moshpit, aggressive Stimmung, Poser, Stylos, Bollos und biertrinkende Brutalos. Na klasse...fehlt nur noch, dass Make it count gleich noch spielt. Aber nun ja. Über was die Band gesungen hat, wurde mir als Nicht-Fan nicht ersichtlich, Ansagen gabs auch bloß im Stil von "schön, dass ihr hier seid", also scheinen die auch nicht so wirklich wert auf Aussagen zu legen. Ich weiß schon warum ich solche Konzerte mittlerweile meide. Sei's drum. Aus den Augen, aus dem Sinn, denn heute war ich aus einem anderen Grund hier. Und dieser lautete The Dillinger Escape Plan.
Nach einer ewig anmutenden Umbaupause lag der Konzertsaal irgendwann in tiefer Dunkelheit und (fast) undurchdringlichem Nebel. Ein paar umgebaute Mesa-Verstärker warfen abwechselnd blinkend und stroboskopartig weißes Licht in den Raum, aus dem Off schwoll Musik an und fünf kaum sichtbare Gestalten betraten die Bühne - das sollte sich auch während des gesamten Konzertes kaum ändern. Welche Eingebung auch immer es mir verriet, ich wusste, dass sie nur mit einem einzigen Lied beginnen konnten und als sie es dann schließlich taten, hatten sie mich bereits für sich gewonnen. Panasonic Youth. Dazu warfen die Flutlichtmaschinen so starkes rotes und grünes Licht in die Menge, dass das gesamte Blickfeld eingefärbt war. Und das in unglaublicher Geschwindigkeit, so dass die Lichtblitze Assoziationen an flackernde Monitore oder einen kaputten Fernseher aufkommen ließen und kollabierende Massen provozierten.
Die nachfolgenden Lieder waren mir teilweise bekannt, teilweise unbekannt, aber...es machte keinerlei Unterschied. Die Wände aus Musik, die Breaks, die vielen Tempi-Wechsel, die Riffs, dazu das Licht - es war einfach nicht fassbar. Es ging nicht in den Kopf hinein. Überfordernd und überkomplex sind die beiden Worte, die mir dazu als erstes einfallen, jedenfalls "Über-". In diesem Stil blieb das gesamte Konzert. Kurze Verschnaufpausen mit langsameren Passagen und dann aber auch gleich wieder gut strukturiertes Chaos. Dieses Erlebnis wird im Wikipedia-Artikel zur Band ganz gut zusammengefasst:
...ein Autor der Zeitschrift Visions drückte es so aus: „Boah, sind die anstrengend", nölt's unbegeistert aus allen Ecken, während die Krachcore-Vorband auf der Bühne Wahnsinn und Weltuntergang beschwört. Liam Wilson räumte in einem Interview ein: „Ich glaube, wenn man uns nicht kennt und eines unser Konzerte besucht, kann das schon eine relativ schockierende Erfahrung sein."
Und in mir wuchs derselbe Eindruck und das obwohl ich meinte die Band zu kennen. Schockierend. Das trifft es ganz gut. In diesem Sinne aber auch bewusstseinserweiternd. Denn so etwas habe ich noch nicht erlebt. Gegen Ende des Konzertes zeigte die Band dann nochmal, dass das Label "Wahnsinn" nicht bloß auf ihre Musik passt, denn Sänger und ein Gitarrist der Band waren dabei, die Rohre an der Decke des Raumes als Kletteranlagen zu missbrauchen und sich durch den Raum zu hangeln, während der andere Gitarrist erst einmal im Alleingang den Moshpit aufräumte.
Jedenfalls sehr verstörend das Ganze. Verstörend und bereichernd. Und je länger ich über dieses Erlebnis nachdenke, desto faszinierender finde ich es. Wahnsinn im besten Sinne.
Vergleiche ich das Gestrige nun mit dem Konzert der anderen festen Institution im Mathcore/Chaoscore-Genre Converge, so haben jene eine komplett andere Art ein Konzert zu geben. Keine Epilepsie-Lightshow, eigentlich überhaupt keine Show, sondern stattdessen in bester Hardcore-Manier Equipment auf die Bühne und die Songs runterrotzen, was das Zeug hält. Auch wenn sie damit wesentlich authentischer sind, sie wirkten nicht im Ansatz so verstörend wie The Dillinger Escape Plan. Dabei ist die Musik von Converge noch wesentlich tiefer in ihrer Emotionalität und der Darstellung von Wahnsinn und Sickness. Als ich sie sah, war ein kleiner Traum in Erfüllung gegangen und es war ein großartiges Konzert. Wenn ich direkt vergleichen müsste, würde ich mich wieder für ein Converge-Konzert entscheiden, denn ich mag ihre direkte ungekünstelte Art. Allerdings muss auch gesagt werden, dass ich The Dillinger Escape Plan auf der Fünf-Stern-Skala ne glatte Fünf gibt, Converge dagegen nur eine Vier (aber das war auch widrigen Umständen des Konzertes geschuldet und wird sich dann im August, wenn auch sie im Kato spielen, sicher noch einmal ändern).
Gnadenloser Wahnsinns-Höllenritt-Abend, der jeder blöden Death-Metal-Band das Fürchten lehren würde...
Fünf von Fünf Sternen.
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