Szenenwechsel. Ein Wochenendticket später vor dem UT Connewitz in Leipzig. Die gleichen beiden lieben Menschen an meiner Seite und schon wieder ein kühles Sternburg in der Hand.
Dieses Mal war deutlich anders. In vielerlei Beziehungen. Hatte ich am Vorabend nur einen Bekannten getroffen und ansonsten von den Menschen (außer von meinen beiden) relativ wenig mitbekommen, so war dieses Konzert viel wortlastiger - viel tiefer im EA80-Universum angesiedelt. Da war z.B. der stark angetrunkene Tshirt-lose direkt vor der Bühne, mit dem ich während sie "Sommerjugend" anspielten, erörterte warum Fliehende Stürme und EA80 beide großartig, aber doch sehr unterschiedlich sind. Er erzählte mir so vieles und gab mir von seinem Bier und dabei waren es nur ein-zwei Worte, die er hat fallen lassen müssen, um mir zu signalisieren, dass er mindestens genau so tief drin steckt wie ich. Dass die beiden Gruppen auch für ihn so unendlich viel bedeuten. Da werden schwere Zeiten sichtbar und bestimmte Einstellungen allen wichtigen Fragen des Lebens gegenüber. Da gibt es eine gemeinsame Ebene, ein gemeinsames Gefühl, welches einfach nicht wegzudiskutieren ist. Mögen auch sonst die Meinungen verschieden sein. Nach dem Konzert ein weiterer Mensch, der mir erzählte, dass er EA80 schon seit DDR-Zeiten kennt und dass die "heutige Jugend" doch gar nicht mehr weiß, wie viel die Wert sind und sie für "Emo-Kacke" halten. Oder der verheiratete Eigenheimbesitzer mit beinahe kompletter EA80-Sammlung, für den das Konzert in Leipzig bereits das 29. war.
Es gibt nur wenige Anlässe, die mich dazu bringen, mich jung - oder zumindest spätgeboren - zu fühlen. Unter diesen Menschen konnte ich kaum anders. So viele Jahre Faszination, die da aufeinander trafen. Gemeinsame Faszination. Denn ich kenne kein vergleichbares Phänomen. Auch wenn mir die Stürme gefühlsmäßig stets ein großes Stück näher standen, waren EA80 doch immer die kreativeren, philosophischeren, wandlungsfähigeren. Worte wie Faszination und Mythos sind albern. Immer. Aber manchmal stehen sie relativ allein auf weiter Flur, wenn in den Zigarettenautomaten der Stadt 25 Zigarettenschachteln auftauchen, die keinen Tabak, sondern Mini-CD's mit jeweils einem EA80-Song beinhalten. Keine Ahnung, ob an dieser Erzählung etwas dran ist, aber genau das macht ihren Reiz aus. Unberechenbar statt simpel konsumbefriedigend.
In Zeiten, in denen Bands ihre Band-Shirts bereits drucken lassen, bevor sie auch nur ein einziges Lied aufgenommen haben, ist es doch hübsch mit anzusehen, wie Urgesteine sich jeden Tag neu erfinden.
Dort wo sie am Freitag endeten, setzten sie am Samstag wieder ein. "Häuser" war das erste Lied des Abends und das komplette Gegenstück zum Vortag. Relativ schön, relativ kurz, relativ schmerzlos. Aber eben nichts Außergewöhnliches. Das war aber gar nicht schlimm. Mit "wieder einsetzen" meine ich, dass sie - bis auf die Lieder vom neuen Album - so gut wie kein Lied des Vortages wiederholten. "Was ist geblieben" war wieder dabei und möglicherweise noch eines oder zwei, die mir grad entfallen sind, aber im Großen und Ganzen ein komplett anderes Set.
Auch dieses Mal gab es einige von den ganz Großen - und einige die zu ganz Großen gemacht wurden. Dieses Mal war es eindeutig "Trashfest", welches mehr als nur groß wurde. Aber bis dahin war es noch ein weiter Weg. Nach dem dritten Lied bereits mit der Hand an der Bühne abgestützt und Luft geschöpft, was scheinbar so bedrohlich ausgesehen haben muss, dass ich von einer lieben Person nach meinem Befinden gefragt wurde (wobei deren fehlende Körpergröße wiederum in mir Besorgnis auslöste, bei all den großen und teils rabiaten Menschen, die sich da schubsten). Wie dem auch sei, so kann's gehen. Schon gehört mensch zum alten Eisen. Aber ist ja auch nicht schlimm. Ich könnte jetzt wieder ewig über Umgang im Pogo und regionalen Unterschieden philosophieren, stattdessen hole ich noch etwas nach, was ich schon längst hätte tun sollen: über das UT Connewitz schreiben. War seit Ewigkeiten nicht mehr dort und es ist immer noch so beeindruckend gewesen, wie das erste und einzige Mal bei Turbostaat. Das UT ist ein sehr altes, ehemaliges Kino, was noch immer durch die pompöse Bühne inklusive antik aussehende Säulen und Dach über der Leinwand, sowie vereinzelt am Rand stehenden Kinositzen und einer Empore deutlich wird. Eine äußerst hübsche Location, in der ich gern viel öfter wäre.
Zurück zum Konzert. Irgendwann riss Junge eine Saite, was ihn dazu brachte, die Geschichte aufzurollen, wie sie das erste Mal in Leipzig spielten. Damals noch zu DDR-Zeiten, offiziell als Messebesucher und ohne eigene Instrumente. Woraufhin sie dann in einem Leipziger Keller auf Steingitarren rausfanden, warum der Ostpunk ein wenig langsamer war. Was auch immer an dieser Story dran ist, ihre Vortragsweise war einfach begnadet. Da erzählt er aus dem Stegreif eine komplexe Geschichte inklusive aller Winkelzüge, nur um im Stil von: "aber solche Überbrückungsgeschichten sind immer doof, langweilen die Menschen zu Tode, die doch eigentlich die Musik hören wollen" zu enden. Auch wenn mein Gedächtnis beim genauen Wortlaut versagt, so war das doch mal wieder eine der illustren Szenen, die EA80 eben auch ausmachen. Keine einstudierten Ansagen, die sich ständig wiederholen, dafür ungewohnt lebendiger Situationismus.
Es folgten wie immer (in einer Reihenfolge, die ich beim besten Willen nicht mehr weiß) die Pause in der Mitte der Stücke, eine weitere Präsentation des German Folk Orchestras (das in Leipzig aber besser aufgenommen wurde), Stücke wie "Was ist geblieben" (das einzige auffällig doppeltgespielte Nicht-"Reise"-Stück), "Gugging" und "Innenraum", und viele bei denen ich mir grad unsicher bin, ob sie sie freitags oder samstags spielten. Aber das ist an sich auch nicht sonderlich relevant. Für was denn Listen machen, wenn doch das Gefühl allein zählt?
Besonders viel davon fabrizierte "Trashfest". Ist es schon so ein sehr ruhiges, sehr intensives, verhältnismäßig langes Lied, welches fast ohne Schlagzeug auskommt, so wurde es in der Live-Version auf das Doppelte gestreckt. Nein, gestreckt ist das falsche Wort, es wirkte sehr organisch und passend. Irgendwann, während das Stück immer mehr abflachte in der Lautstärke, sprang Junge von der Bühne und stand plötzlich inmitten der verdutzten, zurückweichenden Menge. Er ließ sich nieder und schlug mit dem Mikro den Takt auf dem Boden. Das klingt vielleicht bescheuert, aber das hat einen ungeheueren Eindruck auf mich gemacht. Erst Minuten später ging er wieder auf die Bühne und das Lied wurde beendet.
Viel mehr gibt es auch gar nicht zu sagen. Irgendwann endete es dann. Sie ließen sich nicht noch einmal zu einer Zugabe hinreißen und damit war es gegessen. Zur Übernachtungsmöglichkeit gelaufen und je später es wurde, desto leerer wurde der Kopf. Das Fassungsvermögen deutlich überschritten, blieb am Ende kaum noch etwas übrig. Eine heiße Dusche, dazu der leise Singsang "Was ist geblieben/ von dem was bleibt/ Einsamkeit" und Ende. Ausgelaugt und leer, es war vorbei.
Ein zauberhaftes Wochenende, dass sich in der Form wohl nicht so schnell oder auch nie wiederholen wird. Aber gut, dass es war. Prägendes Erlebnis. Wirklich.
Freitag, 13. Juni 2008
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